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Autor Thema: [Background] Wege zur Erkenntnis, Wege zur Erlösung  (Gelesen 81166 mal)
Beschreibung: Remy le Duc: Charakterbogen, Präludium und Tagebuch
Aphiel
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« Antworten #30 am: August 04, 2008, 22:18:57 »

Ohne die geringste Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, befolgte Remy die stumme Anweisung und eilte seinem Mentor nach. Innerlich hoffte er natürlich, dass er in Kürze ein paar Antworten bekäme, aber das lag außerhalb seines Einflusses. Daher hielt er sich nahe bei Guillaume und versuchte aus seinen eigenen Beobachtungen eine Bedeutung abzuleiten.

Wohin wir wohl gehen? Zum Erzbischof? Oder doch in die Bibliothek?

Remy konnte beim besten Willen nicht sagen, wo sie sich letztendlich befanden, oder in welche Himmelsrichtung sie unterwegs waren. Als aber die Tür aufschwang und sie dann doch eine Bibliothek betraten, fühlte Remy sich aber sofort etwas wohler. Inmitten von Büchern, von erfaßbarem und gesammelten Wissen fühlte er sich einfach so.

Dann endlich erhielt Remy die ersten Antworten, nämlich Aufschluß über die Identität des alten Mannes. Das war also Jonathan. Mit einem zurückhaltenden Lächeln und einem sanften Kopfnicken wollte Remy seinen Teil zur Höflichkeit beitragen - doch da wurde er mit einem vollkommen neuen Rätsel konfrontiert. Würdenträger? Was hat das nur zu bedeuten?

Fast schon entgeistert ging der Blick zu seinem Mentor, doch dann sprach Bruder Jonathan, also konzentrierte sich Remy auf den alten Mönch. Nur stockend konnte er seine Antwort hervorbringen.

"Bitte... Bruder Jonathan... Bruder Guillaume... ich verstehe nicht ganz... Warum nennt ihr mich nicht einfach Bruder Remy? ... Warum Würdenträger? Was hat das alles zu bedeuten?"

Remy war ziemlich verunsichert und das konnten die beiden anderen ihm auch deutlich ansehen. Er versuchte im schwachen Licht die Gesichter und Blicke der beiden zu erkennen.
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« Letzte Änderung: August 04, 2008, 23:14:43 von Aphiel » Gespeichert

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Remy le Duc (Vampir)
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« Antworten #31 am: August 04, 2008, 23:55:21 »

"Eines nach dem anderen, Remy. Würdest du Bruder Jonathan gestatten die Kiste in Augenschein zu nehmen?"

Remy hatte angesichts der Situation nicht die Wahl. Er löste die Verschnürung und reichte dem Uralten das Kleinod. Er nahm es mit Respekt entgegen und begann es zu untersuchen indem er es nah unter die Augen hielt, wie es jeder Scholar getan hätte, der Jahre mit einer Kerze in der Bibliothek zugebracht hatte.
Gaulliaume begann zu erzählen.
Das meiste der Begebenheit kannte Remy, schließlich war er dabei gewesen. Doch nun hörte er die Geschichte aus Guillaumes Sicht:
"....Wir sahen also diesen Unfall. Ich spürte sofort, daß etwas Böses in der Kutsche war. Jeder weiß, daß Licht das Dunkel vertreibt und so wurde das Gefährt für den Dämon zur Todesfalle, als ich die Scheibe einschlug und den Vorhang zur Seite zog. Ich verlor das Bewußtsein..." er machte eine theatralische Pause. "Ich erwachte hatte Remy mich und eine Reliquie gerettet. Als du sie in deine Obhut nahmst, wurdest du zum Würdenträger, Remy, bis du..." Gaulliaume brach ab.
Gerade noch hatte er den Blick auf Remy gerichtet, doch sein Kopf ruckte herum.
Im Gesicht von Bruder Jonathan leuchtete es golden.
Tatsächlich strahlte die Kiste wie zehn Kerzen in das Gesicht des Uralten und leuchtete es komplett aus. Remy lief ein Schauer über den Rücken, als er die tiefen Furchen sah, und wie tief die wachen grauen Augen in die Höhlen gesunken waren.

Doch interessanter war, die Kiste hatte sich geöffnet.

"Die Schädeldecke des Bartholomäus!" rief der ebenso überraschte Jonathan aus.

Remy drohten die Augen aus den Höhlen zu quellen.
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Aphiel
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« Antworten #32 am: August 05, 2008, 00:56:03 »

Remy lauschte der Geschichte aufmerksam, doch formten sich eigene Fragen in seinem Kopf. Das in der Kutsche, das war also ein Dämon? Aber wie hatte er es schaffen können, das Gefährt zu be...?

Der Gedanke fand kein Ende, denn in dem Augenblick fiel ein Glanz auf das Gesicht des uralten Gelehrten ihm gegenüber und Remy erschrak gehörig, sodaß er die Verwunderung darüber, woher das Licht so plötzlich kommen mochte, völlig vergaß. Mit einem Schaudern dachte er: Wie alt mag Bruder Jonathan wohl sein? Ich sah noch nie einen so alten Menschen wie ihn! Und was ist nun in dem Kasten?

Doch nichts kam der Überrschung gleich, als Jonathan lautstark erklärte, was sich in der Kiste befand. Der Schock fuhr ihm so tief in die Glieder, dass Remy sich in den ersten Augenblicken gar nicht zu regen vermochte. Dann erst schaffte er es, sich mit einer zitternden Hand zu bekreuzigen, während die andere erschrocken auf seinen Lippen ruhte, über die kein Laut drang. Seine Gedanken überschlugen sich beinahe, als sein Hirn ihm augenblicklich alles an Wissen darbot, das er jemals im Zusammenhang mit diesem Namen gelesen oder gesammelt hatte.

Der Heilige Bartholomäus, Jünger des Herrn, Apostel und Märtyrer des Glaubens. Gehäutet und getötet von den Menschen, die er zur wahren Erlösung führen wollte. Und ich trug wirklich einen Teil seines Schädels in der Kiste mit mir?

Einen Augenblick lang drohte Remy das Bewußtsein zu verlieren, zu überwältigt war er von dieser Nachricht. Er brauchte einige Momente, um sich wieder zu fassen. Eine Hand ruhte nun auf seiner Brust, in der sein Herz so schnell schlug wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Seine Stimme hörte sich an wie das Krächzen eines Raben, als er nach mehreren Herzschlägen ehrfürchtig das Wort an Bruder Jonathan richtete und vorsichtig eine Frage stellte.

"Woran erkennt ihr das so genau, Magister?"

Erst sehr viel später würde er bemerken, dass er den alten Gelehrten mit dieser doch eher weltlichen Anrede vielleicht beleidigt haben könnte, oder jener mochte es für eine Schmeichelei halten. Im Moment jedenfalls reckte Remy den Hals, um hoffentlich einen Blick auf das heilige Relikt zu erhaschen und es mit eigenen Augen zu sehen.
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Remy le Duc (Vampir)
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« Antworten #33 am: August 05, 2008, 19:56:06 »

"Schaut her," wisperte Jonathan und drehte langsam die Kiste in Richtung der anderen.
Das güldene Leuchten war erstorben.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis Remy etwas sehen konnte, denn der Schatten, den die winzigen Kerze warfen, verdeckten lange, was in der Kiste lag. Es kam dem Ungeduldigen vor, als würde er den Lauf einer Sonnenuhr folgen.
Dann endlich erschien sie. Auf weißem Samt gebettet lag die Schädeldecke des Bartholomäus. Sie sah eher aus, wie eine umgedrehte Schale. Ganz glatt schien die Oberfläche, der Rand hatte eine Perfekte Kante, als hätte jemand die Reliquie bearbeitet - oder als hätte man den Schädel mit einer sehr scharfen Klinge geteilt, wie man es mit einem Ei tat....

Remys gedanken verloren sich.

"Heilige Mutter Gottes... sei uns gnädig, oh Herr!" entfuhr es Gaulliaume.
Er sank auf die Knie.
Tränen strömten über seine Wangen.
Jonathan lächelte nur milde.
Auch Remy spürte es...  er wußte nicht woher er es wußte... er spürte die Anwesenheit von etwas wirklich Heiligem.


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« Antworten #34 am: August 06, 2008, 02:01:27 »

Das Kribbeln lief über seinen ganzen Körper, als hätte der Anblick allein ihn ausgelöst. Und doch schien es, als würde jeder weitere Augenblick, in dem er den Blick auf das Artefakt gerichtet hielt, dieses Gefühl von Heiligkeit nur noch verstärken, als würde sich etwas in ihm öffnen, wie sich eine Blüte am Morgen der Sonne öffnete. Und Remy ließ es zu, dass diese Präsenz Besitz von ihm ergriff.

Der erste klare Gedanke, den er angesichts der inneren Wärme fassen konnte, wurde auch in einem deutlich vernehmlichen Flüstern geäußert.

[lat.]"Gelobt sei der Herr, und gelobt sein Sohn, unser Heiland, Jesus Christus, und gelobt sei der heilige Geist." Dabei bekreuzigte der junge Mönch sich dreimal. Dann gab er sich erneut der Präsenz hin.

Der zweite klare Gedanke, den er in der Gegenwart der Reliquie hatte, war der Versuch einer Erinnerung. Hatte er sich so auch in der Gegenwart der Himmelsbotin gefühlt? War dies dasselbe Gefühl, nur stärker? Oder war es etwas völlig neues?

Die Tränen, die er nicht länger zurückhalten wollte (oder konnte), wuschen diese Gedanken fort und sofort wurden sie durch die Wärme ersetzt, die sich immer mehr in ihm ausbreitete.

Der dritte Gedanke, der sich den Weg durch diesen Augenblick brechen wollte, war erstaunlich nüchtern und sachlich. Wie konnte ein Dämon in der Gegenwart von etwas so Heiligem bestehen?

Remy versuchte zum ersten Mal willentlich den tränenverschleierten Blick von dem Artefakt zu lösen. Es hätte ihn nicht verwundert, die göttliche Gedandte erneut irgendwo im Raum zu erblicken, doch wollte er eigentlich Bruder Jonathan ansehen. Dieser uralte Mann schien so viel zu wissen, und vielleicht hatte er auch die Antwort auf die letzte Frage in Remys Kopf. Aber konnte Remy es wagen, sie ihm einfach so zu stellen?

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« Antworten #35 am: August 07, 2008, 14:57:43 »


Als er Jonathan in die augen Blickte, sah er, daß auch er von der Wärme und Liebe erfüllt war, die Remy durchströmte.
Aber... er hatte auch eine seltsame Ähnlichkeit mit der weißen Botin.
Der junge Gläubige spürte ein erleuchtendes Gefühl in sich.
Er wußte, in welcher Weise sich der Mönch vor ihm von dem hinter ihm Unterschied.
Eine Epiphanie spülte alle Ängste und Fesseln fort. Er konnte das erste Mal in seinem Leben ungehemmt und frei denken.
Guillaume war herzlich und warm. Ein Mensch der gab, demütig Gott folgte, aber auch einen Sinn für das Leben hier und jetzt hatte. Er ähnelte der Reliquie am meisten. Jonathan war zwar erfüllt vom Glauben, und es ging auch viel Wärme von ihm aus... er selbst war leer. In seiner Seele war nichts. Es war, als brenne in ihm ein Feuer, wo Guillume einfach warm war.
Das gleiche traf auch auf die Botin zu. Sie war kalt, aber es brannte etwas in ihr. Immer, wenn sie ihn besuchte, hatte Remy gespürt wie viel Anstrengung es kostete ihn zu sehen, als sei sie ein Schmelzofen, der seine Feuerkraft einteilen mußte. Sie hatte nichts mit Bartholmäus oder Gauillaume gemein. Nur mit Jonathan... und ihm. Er...


"...ihr die Frage bitte wiederholen?" drang es an sein Ohr. Es war die leise Stimme von Bruder Jonathan.
So sehr er sich auch bemühte, er fand nicht in die erleuchtenden Gedanken zurück.
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« Antworten #36 am: August 15, 2008, 22:41:38 »

Verwirrt sah Remy den alten Mönch an, bevor er eine Antwort formulieren konnte.

Frage? Wiederholen? Welche meint er? Innerlich versuchte Remy nach den letzten Fäden dessen zu greifen, was gerade noch seinen Kopf erfüllte, doch es gelang ihm nicht. Unsicher, welche der Fragen er ausgesprochen und welche er nur gedacht hatte, sammelte sich Remy, bevor er beide Gedanken äußerte, an die er sich noch zu erinnern vermochte.

"Woran erkennt ihr, dass diese Knochen vom Heiligen Bartholomäus stammen? Und wie konnte ein Dämon in der Gegenwart von etwas so Heiligem bestehen?"

So nüchtern formuliert wirkten die Fragen eher analytisch und kalkuliert als leidenschaftlich oder gläubig. Ein wenig schämte Remy sich dafür, denn schließlich war dies ein Augenblick des Glaubens, oder nicht? Aber warum hatte er das Gefühl, dass Jonathan genau wußte, was in seinem Kopf vorging?
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« Letzte Änderung: August 15, 2008, 23:10:17 von Aphiel » Gespeichert

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« Antworten #37 am: August 18, 2008, 12:44:51 »

Jonathan lächelte.
"Das ist eine der intelligentesten Fragen, die mir in den letzten zehn Jahren gestellt wurde, mein Bruder. Ich will es euch erklären..."

Guillaume nickte zustimmend: "Über den Heiligen Bartholomäus kann ich sagen, daß er in drei Evangelien erwähnt wird. Als erstes im Evangelium des Markus. Johannes schrieb, er sei war ein Schriftgelehrter, wie wir es sind, bis er dem Herren folgte und Apostel wurde. Bis dahin war sein Name etwa Natanaël Bar-Tolmai. Später predgte er in Mesopothamien und Armenien, wo er auch den Märthyrertod durch Häuten starb. Des weiteren weiß ich, war er einst in Siziilien begraben, wo sein Körper angespült worden sein soll. Doch seit etwa 200 Jahren ruht er in Rom. Soweit mir zu Ohren gekommen ist, sollte die Schädeldecke Frankfurt am Main überführt werden."

Jonathan fuhr fort: "Sehr gut, mein Schüler. In der tat hat Otto II die Gebeine vor der Jahrtausendwende nach Rom gebracht. Er wollt die Schädeldecke mit ins Heilige Römische Reich deutscher Nation nehmen, doch starb Otto zu früh für diese Queste, weshalb sie in Rom verweilte. Warum ich mir sicher bin, daß sie es ist, läßt sich einfach erklären.."
Jonathan wies auf die Innenseite des Kistendeckels und fuhr über seltsame Zeichen, die Remy als Schrift identifizieren konnte: "Dies ist die Sprache, die  Jesu Christi sprach. Aramäisch. Hier steht:
Nathanael, Sohn des Tolmai, wache auch im Tode über uns und lasse und Gnade in den Augen des Herren finden!"

Remy konnte nichts anderes tun als zuhören und alles, was der alte Gelehrte sprach, in sich aufzusaugen. Das Wissen und die Erkenntnisse die er in sich barg, schien schier unendlich groß zu sein. Noch nie hatte er jemanden getroffen, der die Muttersprache des Herrn beherrschte.

"Nun zu deiner zweiten Frage, Remy, Wisset, daß dies tifere Göttliche Geheimnisse sind, denn nur wenige kennen sie," sagte Bruder Jonathan geheimnisvoll, "Ich zweifle keinen Moment an euer beider Worten. So wie ihr es berichtet, seid  ihr tatsächlich einen Dämon gegenüber getreten und habt ihn vernichtet. Das Wort Dämon allerdings wird gern von einfachen Menschen für alles verwendet, was sie sich nicht erklären können. Doch aus der Heiligen Schrift wissen wir, daß die, die in die Hölle verbannt wurden, einst Engel waren. Engel, die dem Morgenstern folgten und sich gegen Gott stellten. Manche von ihnen suchen nach Gnade, andrere haben sich ganz abgewandt.
Dennoch," er machte eine dramatische Pause, "kann jemand, der von Gott verstoßen wirde, wahrhaftig glauben, denn er wurde berührt. Dies wird nicht nur Engeln zu Teil, sondern auch den Menschen. Sowohl die Gläubigen berührt er, als auch die Sünder."

Gaulliaume wollte eine Schlußfolgerung austoßen, doch schwieg er auf einen Blick Jonathans hin. Remy spürte, daß von ihm erwartet wurde nun mitzuteilen, was er aus den Worten geschlossen hatte.
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« Antworten #38 am: August 18, 2008, 17:54:16 »

Remy war machtlos und dennoch voll in seinem Element, denn hörte zu und lernte; auch etwas über die Beziehung von Jonathan und seinem eigenen Mentor. Guillaume war also selbst sein Schüler. Aber wie alt ist Jonathan dann wirklich?

Besonders faszinierend fand er die Schriftzeichen in der Kiste und er hörte der Übersetzung aufmerksam zu, um sie sich einzuprägen. Die Sprache des Herrn ... ach, wie gern hätte er sie auf der Stelle gelernt, um die Worte selbst zu lesen. Und danach viele neue Bücher, die in ihr geschrieben waren. Einen Augenblick lang dachte er sogar darüber nach, sein Notizbuch hervorzuziehen und die Zeichen zu kopieren, doch besann er sich noch rechtzeitig und lediglich seine Hand zuckte in einem Anflug von Übereifer.

Dann sprach Jonathan erneut und diese neuen Worte machten Remy beklommen. Zunächst sprach der uralte Mönch davon, dass sie einen Dämon vernichtet hatten - doch war dies nicht einmal in Absicht geschehen, denn sie wollten ja nur helfen. Das Töten ist eine Sünde, durchfuhr es Remy, aber getötet wurde ein Dämon. Und der Kutscher, doch lag das nicht an unserem Eingreifen. Haben wir nun gesündigt? Oder doch den Willen des Herrn erfüllt?

Jonathan sprach dann darüber, dass man oft die falschen Worte für Dinge benutzte, die man nicht erklären konnte - vorschnelle Urteile aus Unwissenheit also. Aber dann sprach er über gefallene Engel und Sünder, die verstoßen waren, aber doch glaubten. Berührte. "Nun, berührt wurde der Passagier in jedem Fall, denn er war augenblicklich zu Asche verwandelt, kaum dass ihn das Licht der Sonne erreichte." murmelte Remy leise.

Erstaunt stellte er fest, dass er beim Wesen in der Kutsche plötzlich nicht mehr zuerst an einen Dämon, sondern an einen Passagier dachte. War das die eigentliche Lektion von Jonathan? Nicht vorschnell zu urteilen oder die Bereitschaft, ein bereits gefälltes Urteil zu überdenken, wenn man neue Informationen dazu hatte?

Dann stellte er etwas noch viel Erstaunlicheres fest: Jonathan hatte seine Frage nach der Schädeldecke als intelligent bezeichnet. War es denn so ungewöhnlich, dass jemand diesen Dingen sorgfältig auf den Grund gehen wollte? Und dann verstand Remy endlich, dass beides eigentlich dasselbe war. Er war bereit gewesen, die Echtheit der Reliquie zu akzeptieren, solange die Siegel der Kirche an der Kiste ungebrochen waren. Auch die Aussage über den Dämon in der Kutsche hatte er akzeptiert. Er hatte sich beide Male vom äußeren Anschein blenden lassen - so lange, bis er einen Blick hinter den Schein werfen konnte. Als Jonathan jedoch eine Behauptung zum Inhalt der Kiste aufstellte, war in Remy eine Frage aufgetaucht, und er hatte sie gestellt.

Und nun hat Jonathan erneut eine Behauptung ... nein, hat er nicht! Er hat sie nicht ausgesprochen, er hat nur die Möglichkeit eröffnet. Und nun scheint es, als wollte er, dass ich sie ausspreche. Einen Augenblick zögerte Remy noch, befürchtend, dass dies eine Falle sein und man ihn einen Ketzer nennen würde, wenn er etwas Falsches sagte. Dann jedoch sah er sich schnell nach allen Seiten um und beugte sich vor, um nicht so laut sprechen zu müssen.

"Ich verstehe, dass ihr damit andeuten wollt, dass der Reisende in der Kutsche vielleicht gar kein Dämon gewesen ist. Aber was war er stattdessen? Ein Sünder? Oder etwa ein Büßer, der sich die Gnade unseres Allmächtigen wieder verdienen wollte, indem er als ... Würdenträger die Reliquie mit sich nahm? Oder war es gar ein gefallener Engel?"

Remy hatte plötzlich das Gefühl, mit den letzten Sätzen zu weit gegangen zu sein. Er presste die Lippen aufeinander, als ihm ein neuer Gedanke dämmerte.
Die Himmelsbotin! Sie wollte mich fortschicken, aber vielleicht kam sie tatsächlich wegen eines gefallenen Engels. Vielleicht um ihn nach Hause zu holen, nachdem der Herr ihn gerichtet hatte?

Zu gerne hätte Remy in diesem Augenblick den weisen Jonathan gefragt, ob Gefallene oder Berührte auch von Engeln besucht wurden. Er hätte ihm von der himmlischen Erscheinung erzählen wollen. Doch konnte er es wirklich wagen, ihm diese Fragen zu stellen? Nach seiner letzten verwegenen Äußerung schien ihn der Mut verlassen zu haben.
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« Letzte Änderung: August 18, 2008, 17:57:59 von Aphiel » Gespeichert

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Remy le Duc (Vampir)
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« Antworten #39 am: August 19, 2008, 20:22:31 »

"Das können wir an dieser Stelle nicht ergründen." antwortete Jonathan. Er zog eine dünne Augenbraue hoch und murmelte in seinen nicht vorhandenen Bart: "Fazinierend...." Rückartig blickte er auf. "Noch zwei Dinge: Remy, denke darüber nach, ob der Glaube an den Herrn miteinschließt, seinen Weisungen zu folgen. Denke an Abraham... und Guillaume... du warst ein guter Lehrer." Er lächelte. "Ich bin nun müde. Auf meine alten Tage brauche ich viel Schlaf. Ihr seid sicher auch ausgelaugt. Ich lasse Herold schicken, er hat bestimmt schon die Kerzen in den Gästezellen entzündet. Ihr werdet rechtzeitig zum Morgengebet geweckt werden."

Was hätten sie sagen sollen, außer gute Nacht?

Der sichtlich nachdenkliche Jonathan verließ die Bibliothek und schenkte ihnen noch ein verschmitztes Lächeln, welches verriet daß Bruder Herold noch einem Moment brauchen würde. Sie hatten Zeit noch einmal privat zu sprechen, bevor sie wieder in das Klosterleben eintauchten.
"Habe ich recht behalten als ich sagte, er wäre Weise?" wante sich ein wie ein Schuljunge, der einen Apfel bekommen hatte grinsender Gaullaime an Remy.
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« Antworten #40 am: August 19, 2008, 23:53:25 »

Remy hatte dem alten Mann nachgesehen, während sich dieser zurückzog und starrte noch auf die Tür, nachdem diese längst wieder geschlossen war. Seine Gedanken eilten durcheinander, wie flüsternde Stimmen, die sich in seinem Kopf überschlugen, dabei immer lauter wurden und gegenseitig zu übertreffen versuchten.

Wieso Abraham? Warum nicht Hiob? Abraham war gehorsam und er war bereit, Isaak zu opfern, doch verlor er seinen Sohn nicht. Hiob hingegen vertraute seinem Gott, selbst als dieser ihm alles nahm und so seinen Glauben prüfte. Gehorsamkeit und Gottvertrauen. Was will Jonathan von mir wissen? Ob ich die Heilige Schrift kenne? Ob ich gehorsam bin im Glauben und dem Allmächtigen vertraue? Will Jonathan etwa meinen Glauben testen? Aber dann hätte er Hiob gesagt. Und was könnte ich schon opfern oder verlieren? Was hat das nur zu bedeuten? Abraham ... Abraham ... war es nicht der Engel des Herrn, der die Spitze des Schwertes festhielt, als Abraham schon zum Schlag ausholte? Was wollte er mir damit nur sagen? War der Stammvater des Volkes Israel etwa ein Berührter? Erschien der Engel etwa Abraham, weil er von Gott berührt worden war? Könnte das etwa...

Als Guillaume ihn ansprach, zuckte Remy erschrocken zusammen, fing sich aber schnell wieder.

"Weise ist er, ganz ohne Zweifel," bestätigte der junge Mönch nachdenklich, "und irgendwie ziemlich rätselhaft." Dann wandte er den Blick zu seinem Mentor und begann diesen mit Fragen zu überhäufen.

"Guillaume, was meinte er damit: 'denke an Abraham'? Und all dieses Wissen, über Berührte und gefallene Engel, woher hat er es? Von hier?" Er deutete auf die Bücherregale um sie herum. "Müssen wir denn wirklich schon in die Zellen gehen? Waren wir nicht wegen eines Textes hier? Können wir nicht bleiben und arbeiten? Ich fühle mich doch noch gar nicht müde..."

Remy wurde in der Tat immer aufgekratzter und beim Anblick der vielen Schriften funkelten seine Augen, während die Neugier ihn weiter anstachelte. Er hatte wohlweislich in der letzten Frage 'wir' gesagt, aber Guillaume kannte seinen Schützling zu gut, um zu wissen, dass Remy eigentlich nur sich selbst damit meinte, und dass er eher lesen als arbeiten wollte.

"All diese Dinge, von denen er sprach, woher weiss er sie nur? Und wie lange kennst du ihn schon? Weisst du, wie alt er wirklich ist?"

Erneut wanderte Remys Blick über die Regale voller Bücher, während er Guillaumes Antworten lauschte und in ihm keimte ein neuer Gedanke: wenn das Wissen von Jonathan hier in diesen Schriften zu finden war, dann würde er den alten Weisen nicht einmal mit seinen Fragen belästigen müssen. Er brauchte nur etwas Zeit allein in diesem Raum, um den richtigen Text zu finden, ein Text über Gefallene und Engel, über Berührte und Sünder. Und eventuell würde dieser Text auch die lang ersehnte Antwort auf Remys persönliches Rätsel enthalten: die weiße Frau, die ihm immer wieder erschien.

Remy begann auf der Unterlippe zu nagen, denn ohne Befugnis hier zu verweilen würde nicht gerade für seinen Gehorsam sprechen. Und genau darauf schien Jonathan doch mit seiner letzten Bemerkung abgezielt zu haben. Remy befand sich in einer Zwickmühle.
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« Antworten #41 am: August 23, 2008, 14:43:29 »

"Beruhige dich, Remy. Ich werde dir meine Geschichte erzählen..."
Guillaume setzte sich ihm Gegenüber und sprach in ihrer beider Muttersprache:
"Als Säugling wurde ich auf der Schwelle des Klosters Cluny gefunden. Jonathan zog mich auf, gab mir einen Namen und lehrte mich alles. Er ist ein wissensdurstiger Geist, etwas was wir beide mit ihm gemeinsam haben... Schon damals war er ein alter Mann... Er zeigte mir, Fragen zu stellen und wie man nach ihren Antworten forscht, sowohl in der Heiligen Schrift als auch im Leben. Ich lernt alles was ich konnte und wurde dadurch selbst im Kloster zum Sonderling. Das spielte für mich keine Rolle. Ich las und übersetzte und stellte mir Fragen.
Als ich fünfzehn war, war ich schon ein kleiner Rebell geworden. Ich löcherte meine Brüder mit Fragen, sogar den Abt. Es sah aus, als würde ich den Herrn anzweifeln, doch im Gegenteil, ich wollte verstehen. Niemals zweifelte ich am Herrn, doch die anderen schienen es zu tun, denn sie namen alles hin, ohne sich immer wieder zu reflektieren.
Eines Tages ging Jonathan fort. Er sagte, er hätte mich alles gelehrt und ich solle meinen eigenen Weg einschlagen. Wir hielten Kontakt über lange Briefe...und lange habe ich gewartet, ihn wieder zu sehen. Dekaden. Ich fürchtete schon, es sei erst nach seiner letzten Ölung.
Ich erzählte in meinen Briefen auch von dir, Remy. Er sagte, ich solle mein Wissen an dich weiter geben, und das habe ich, so gut ich bisher vermochte ,getan. Ich...."

Es klopfte an der Tür, und Bruder Herold trat mit einer brennenden Kerze in der Hand ein.
"Wir sprechen morgen weiter, Remy," sagte Guillaume leise, während sie aufstanden. "Nur eins noch, zu deiner Frage, du solltest dir eine Weitere stellen: Was wäre geschehen, hätte der Engel Abrahams Hand nicht gehalten? Hätte Abraham nicht auch seinen Glauben unter Beweiß gestellt? Was ist die quintessenz´sche Frage des Wahren Glaubens des Dämons?"

Leise flüsterte er die Fragen während sie Herold durch das Treppengewirr zu den Schlafzellen folgten. Sie waren wie andernorts auch. Eine Holztür zu einen kleinen, kargen Schlafraum für eine Person. Herold verabschiedete sich von ihnen, nachdem er hinter ihnen die Tür geschlossen hatte.
Bald lag Remy allein auf dem Bett. Die Kerze, die auf einem Endtisch brannte, der neben dem Bett das einzige Möbel war flackerte.
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« Antworten #42 am: August 24, 2008, 03:17:03 »

Remy hatte seinem Mentor aufmerksam gelauscht. Er konnte nun die Beziehung zwischen Jonathan und Guillaume besser verstehen, aber ebenfalls konnte er nun sein eigenes Verhältnis zu seinem Lehrer und Mitbruder besser bewerten. Die Beschreibung von Jonathans Erscheinung hingegen machte ihn stutzig. Jonathan war bereits ein alter Mann, als Guillaume noch ein Säugling war? Aber wie alt mochte er dann jetzt wohl erst sein?

Als es an der Tür klopfte, wußte Remy sofort, was das zu bedeuten hatte. Mit einem bedauernden Blick sah er auf das gesammelte Wissen im Raum, das er wohl vorerst nicht ergründen können würde. Die Worte seines Mitbruders hingegen gaben ihm eine andere Art von Hoffnung, oder vielmehr die Wortwahl. Guillaume fragte ihn direkt, wo Jonathan ihm nur geraten hatte, darüber nachzudenken. Fragen erforderten Antworten. Vielleicht war dies ja wirklich so eine Art Prüfung, aber eher die Prüfung seines Geistes, statt die seines Glaubens.

Allein in seiner Kammer hatte Remy die Zeit, sich alles noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.

Jonathan wollte, dass Guillaume lernt, Dinge zu hinterfragen. Fragen zu stellen und nach Antworten zu forschen. Natürlich! Forschen, und nicht suchen! Ein Suchender kann einfach nur vom Glück geführt sein, aber ein Forscher hat ein klares Ziel, er folgt einer sichtbaren Straße auf dem Weg zur Antwort auf seine Fragen. Jonathan wollte, dass Guillaume lernt zu forschen, und Guillaume wollte sein Wissen an mich weitergeben. Also wird Jonathan wissen wollen, ob ich nur blind lerne, oder ob ich auch die richtigen Fragen stellen kann. Deshalb auch die Anspielung über den Reisenden, der kein Dämon war. Er wollte, dass ich es laut sage, um mich zu testen!

Remy setzte sich auf, dann ging er zum Tisch hinüber, wo er sein Notizbuch, die Schreibfeder und das Tintenfäßchen aus der Umhängetasche nahm. Zunächst blätterte er das Büchlein durch, zuerst zügig, die letzten Seiten etwas langsamer. Am Ende seiner Aufzeichnungen angelangt, starrte er einen Augenblick auf die Leere, bevor er zur Feder griff, und sie mit Worten zu füllen begann. Die wichtigsten Dinge, die er heute erfahren hatte, hielt er zuerst fest: Gläubige, Berührte, gefallene Engel, Sünder. Darunter schrieb er ein einzelnes Wort, einen Namen: Abraham. Diesen sah er lang und eindringlich an, während er sich Guillaumes Fragen ins Gedächtnis rief.

Was, wenn der Engel nicht Abraham aufgehalten hätte? Dann hätte Abraham die Anweisung Gottes befolgt und Isaak geopfert, denn er holte bereits zum Schlag aus. Trotz allem, was ihm der Sohn bedeutete, war Gott ihm wichtiger. Es war dieser Beweis, den Gott wollte. Aber wußte der Allmächtige dies nicht ohnehin, wo er doch in jedes Herz eines jeden Menschen sehen kann? Hat er den Beweis vielleicht nur sehen wollen, dass Abraham selbst es ebenfalls erkennt? Nein, das führt zu weit...

Remy stand auf und ging in der kleinen Zelle langsam auf und ab, während er weiter nachdachte.

Isaak wäre geopfert worden und das Volk Israel wäre nie entstanden. Gott hätte mit dieser Forderung sein Volk aufs Spiel gesetzt. Aber er wußte bereits, wie Abraham handeln würde und hatte den Engel gesandt, daher war sein Volk nie in Gefahr. Nein, es muss hier um etwas anderes gehen... um Abraham selbst. Er wäre ein Kindsmörder gewesen in den Augen seiner Mitmenschen, und doch hätte er ein reines Gewissen gehabt, da er allein dem Willen Gottes folgte.

Remy hielt an, dann setzte er sich auf das Bett und spann den Gedanken weiter.

Ein Mörder in den Augen seiner Mitmenschen, aber ein wahrhaft Gläubiger. Aber ein blind Gläubiger? Zu blind um zu fragen? Nein. Nein! Abraham hatte die Anweisung von Gott persönlich! Zu fragen hätte bedeutet, dass er zweifelt; aber das konnte er nicht! Er hätte Isaak geopfert, wenn der Engel nicht gekommen wäre!

Erneut sprang Remy auf und ging nachdenklich auf und ab.

Er hätte gehorcht, ungeachtet dessen, was seine Mitmenschen von ihm gedacht hätten. Er hätte seinen Sohn geopfert, aber dies mit dem reinen Gewissen eines wahrhaftig Gläubigen. Es wären die anderen, die in ihm dem Sünder gesehen hätten. Sie hätten es nicht verstanden. Es wäre unverstanden geblieben, oder mißverstanden, man hätte nur die Tat gesehen, nicht die Umstände, nicht die Hintergründe...

Remy ging schneller, auch wenn sein Weg ihn nur im Kreis umher führte. Er hatte das Gefühl, kurz vor der Erkenntnis zu stehen.

Nur die Tat, nicht die Umstände. Man hätte ihn verurteilt und ihn beschimpft, man hätte nicht gefragt. Geht es etwa darum? Ist das die Quintessenz, die Guillaume meinte? Glauben und Gottvertrauen, ein reines Gewissen gegenüber Gott, selbst wenn die Welt einen verurteilt? Dann war der Dämon in der Kutsche also kein Dämon, sondern ein wahrhaft Gläubiger, der vielleicht bei einigen Menschen in Ungnade fiel, aber nie bei Gott? Handelte er etwa, wie Gott es von ihm verlangte? Konnte er deshalb die Reliquie tragen, ohne in ihrer Gegenwart zu vergehen? Ja. Ja! So muss es gewesen sein! Er war von Gott berührt und doch zugleich gezeichnet, sonst hätte ihn das Licht der Sonne nicht in Asche verwandelt. Und doch muss er wahrhaft gläubig gewesen sein, darum konnte er der Träger der Reliquie sein und in der Kutsche reisen.

Remy blieb stehen und atmete tief durch. Er hatte eine Antwort gefunden, und obwohl es dieselbe war, die er Jonathan bereits im Gespräch vorgeschlagen hatte, so fühlte er sich dieses Mal sicherer damit, in der Erkenntnis, dass sie nicht allein auf Vermutungen basierte. Und damit konnte er nun auch Guillaumes Fragen beantworten, und das tat er, indem er die Antworten leise vor sich her murmelte.

"Erstens: hätte der Engel nicht Abrahams Hand gehalten, dann hätte er Isaak geopfert.
Zweitens: damit hätte Abraham natürlich seinen Glauben, seinen Gehorsam und sein Vertrauen gegenüber Gott unter Beweis gestellt, egal ob er nun das Opfer gebracht hätte oder nicht.
Drittens: die Frage des Glaubens des Dämons, wenn es denn eine gab, musste also sein, ob sein Zustand als Berührter, als Verdammter und Auserwählter zugleich, nicht auch das Ergebnis seines Gehorsams oder Ungehorsams war. Wie aber auch immer die Antwort darauf wäre, sie würde nichts daran ändern, dass der Herr ihm eine besondere Aufgabe zuteil werden liess, von der er letztendlich auch nur durch den Allmächtigen erlöst werden konnte."

Zufrieden mit seinen Erkenntnissen, machte Remy sich noch einige Stichpunkte in sein Buch, bevor er es schloss, mit den anderen Sachen wieder in der Umhängetasche verstaute, die Kerze löschte und sich letztendlich auf das Bett legte. Der Schlaf wollte sich nicht so leicht einstellen; Remys letzte Gedanken kreisten noch lange um diese Fragen, doch irgendwann war die Müdigkeit stärker.
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Remy le Duc (Vampir)
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« Antworten #43 am: September 02, 2008, 13:58:07 »


--- am nächsten Morgen ---

Ein Klopfen, leise aber beständig, holte Remy aus einem tiefen Schlaf.  "Guten Morgen! Noch eine halbe Stunde bis zum Morgengebet! Erwachet!"

Bruder Herolds Stimme hallte durch die Gänge. Remy war beruhigt. Er lag in einem vergleichsweise bequemen Bett, hatte vier Wände um sich herum, und die Aussicht auf theosophische Gespräche... Er war nicht im Wald oder in einer heruntergekommenen Kaschemme, hatte Guillaume nicht neben sich Schnarchen gehört und nicht mit der Angst aufgewacht, eventuell bestohlen worden zu sein und ohne schmerzhafte Druckstellen am Körper.

An diesem Morgen war ihm, als habe er eine Tür aufgestoßen, die ihm bisher verschlossen gewesen war.
Als er neben Guillaume und zwischen den heimischen Mönchen auf den Hof trat, um am Morgengebet teilzunehmen, war der Himmel blau, ohne eine Wolke. Vor ihm ragte das Heilige Symbol der Höchsten Turmspitze in den Himmel. Die Morgensonne strahlte es golden an. Als sei ein Damm gebrochen überflutenten Remy le Duc gewaltige Emotionen.

Er erkannte, daß es eine größere Wahrheit und Ordnung auf Gottes Erde geben mußte.

Die Mönche Schritten weiter auf das große Eingangstor der Kirche zu. Die Halle war durch die bunten Glasfenster in helles Licht getaucht. Auf ihnen waren verschiedene Heilige abgebildet. Doch als einziger schien Sankt Bartholomäus Remy zuzublinzeln, indem die Sonne hinter einer Säule wieder auftauchte und ihn kurz blendete.
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« Antworten #44 am: September 07, 2008, 23:28:05 »

In der Tat freute sich Remy über den neuen Tag, und das hervorragende Wetter an diesem Morgen.

"Der Allmächtige sieht mit Güte und Freude auf uns herab" murmelte er mit einem Lächeln zu Guillaume, als er neben diesem auf dem sonnenbeschienenen Hof einherging. Zuversicht und Wohlgefühl erfüllten den jungen Mönch, als er die Herrlichkeit der Turmspitze sah und er fühlte sich an diesem Tag wirklich wie neugeboren, ohne dass er sagen konnte, wieso das so war. Lag es an der nächtlichen Begegnung mit Jonathan, an den Erkenntnissen der Nacht oder daran, dass gestern endlich das Geheimnis um das Kästchen gelüftet worden war? Für Remy hätte es jeder dieser Gründe sein können, und doch war da wieder dieses Gefühl, das er bereits schon einmal hatte. Es begann als eine Ahnung, damals im Wald, wo sie die Kutsche fanden, es wiederholte sich, als er den Wawel das erste Mal erblickte, und hier war es nun erneut - das Gefühl, dass er aus einem bestimmten Grund hier war. Ganz so, als wäre dies seine Bestimmung. Ja, Gott hatte einen Plan und Remy spürte deutlich, dass auch er Teil davon war.

'Erweisen wir unserem gnädigen Gott Dank und Ehrerbietung' dachte Remy still, als er die Kirche betrat. Dennoch kam er nicht umhin, die Darstellungen der Heiligen zu betrachten, obgleich er wie alle anderen Brüder eher den Kopf demütig hätte senken sollen. Nachdem er allerdings Bartholomäus erblickt hatte und dieser ihm zuzublinzeln schien, holte Remy das sofort nach. Dabei fiel ihm etwas anderes ein: wo war das Kästchen? Er versuchte sich zu erinnern, wusste aber nur noch, dass er es zuletzt in Jonathans Händen in der Bibliothek gesehen hatte. Danach verschwamm die Erinnerung seltsamerweise, doch schrieb Remy das den überwältigenden Ereignissen des gestrigen Abends zu. Außerdem, so mußte er sich eingestehen, hatte er durch die Diskussion das Kästchen völlig vergessen.

Ein schöner Würdenträger bist du! schalt er sich innerlich und nahm sich vor, möglichst sofort nach dem Morgengebet nach dem Kästchen zu suchen. Vielleicht wusste ja Jonathan, wo es war, doch wo war Jonathan?

Aufmerksam sah Remy sich um, soweit er das konnte, ohne den Kopf zu auffällig zu heben. Während er den ihm angewiesenen Platz einnahm, konnte er ja zumindest in die Gesichter der Brüder auf der anderen Seite der einander entgegen gerichteten Chorgestühle sehen, aus denen in wenigen Augenblicken die Wechselgesänge erschallen würden. Wenn er den alten Mönch nicht auf der anderen Seite entdeckte, so blieb nur die Schlussfolgerung, dass er sich irgendwo in der Reihe neben ihm befand. Beim Hinausgehen nach dem Gebet würde sich gewiss die Gelegenheit ergeben, ihn kurz anzusprechen.
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