Ich habe lange überlegt, ob ich was dazu schreiben soll oder nicht, aber ich bin der Ansicht, dass ich mich schon dazu äussern kann.
Problem 1: DefinitionenJa, ich kann mich den Vorrednern nur anschliessen, so lange es keine eindeutigen Definitionen gibt, ist es schwer, sauber zu trennen, wovon eigentlich gesprochen wird. Selbst die gute alte Wikipedia setzt die beiden Begriffe "Powergamer" und "Munchkin" in ein zueinander synonymes Verhältnis. Allerdings sind da ein paar sehr nette Beispiele aufgelistet, die auch mich zum lachen brachten
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http://de.wikipedia.org/wiki/PowergamerIch denke, ich übernehme hiermit größtenteils die bereits erwähnten Definitionen, wenn ich sage dass ein
"Powergamer" jemand ist, der in erster Linie darauf abzielt, seinen Charkater als den
ultimativen Allroundhelden ohne (nennenswerte) Nachteile zu konzipieren und auch zu bauen/entwickeln. Diesbezüglich sind mir einige Personen untergekommen, sowohl als Mitspieler als auch als Spieler in meinen Runden.
Wenn so etwas zugelassen wird und dann dem Spass abträglich wird, so laste ich das
a) einerseits den Spielsysteme-Erfindern an - die aber sofort wieder damit entschuldigt sind, dass auch der genialste Spieleerfinder nicht sämtliche Eventualitäten von vornherein abdecken kann. Dafür gibt es Neuauflagen bzw. Regel-Updates. Schönes Beispiel dazu grade eben in der Wikipedia gelesen: der Bag-o-Rats Fighter in D&D.
b) den Spielleitern (
inklusive mir selbst) an, die in gewissen Situationen nicht flexibel, findig oder gedankenschnell genug sind, um auf etwas derartiges passend reagieren zu können.
Wunderschönes Beispiel: ich leitete einmal eine Gruppe eines in Deutschland weitgehend unbekanntes Systems und beschloss entgegen meiner üblichen Erfahrungen mit dieser Person einen bestimmten Spieler teilnehmen zu lassen (denn man will ja kein Unmensch sein und nach 2 Wochen betteln, dass die härtesten Felsen nasse Augen bekommen, konnte ich einfach nicht mehr). Besagte Person baut einen Charakter (einen Psychologen), nachdem person verstanden hat, dass es in diesem Spielsystem auf Interaktion und emotionales Einfühlungsvermögen ankommt, weil man größtenteils mit NSC verschiedenster Art zu tun hat. Person erlebt mit besagtem Charakter und den anderen Gruppenmitgliedern eine gefährliche Situation - und schon wanderte besagter Psychologe in den Mülleimer und ich wurde in der nächsten Spielsitzung mit einem Krieger konfrontiert, der eines SR Streetsam würdig gewesen wäre (natürlich angepasst ans andere System). Es wurde nicht die geringste Anstrengung seitens der Person unternommen, den besagten Psychologen zu retten oder zu verändern, geschweige denn ihn in seiner Gänze charakterlich auszuspielen. Stattdessen wurde ich noch mit Vorwürfen bombardiert, warum denn der neue Charakter nach dem nächsten Kampf 6 Monate im Rollstuhl sitzen muss. (Antwort: Heldenmut und Dummheit unterscheiden sich dadurch, dass der Held weiss, wann man lieber einen Schritt nach hinten als nach vorn tut.)Besagte Person ist meiner Ansicht nach ein Powergamer, vor allem, da er in anderen Runden grundsätzlich allen die Show stehlen will und sich lauthals beschwert, wenn die Regeln (die er übersehen hat) gegen ihn zum Tragen kommen.
Einem
"Munchkin" nach meiner Definition würde dieser Fehler nicht unterlaufen - bzw. würde der sich nicht darüber beschweren, sondern eifrig drüber nachdenken, wie er diesen Fehler das nächste Mal vermeidet, während er ganz gemütlich einen neuen Charakterbogen mit Inhalt zu füllen beginnt.
(Wer das Kartenspiel gleichen Namens kennt, versteht, warum das Spiel eine Persiflage des Verhaltens der Munchkins ist.)
So, nun aber mal genug der Scherze:
"Munchkins" kennen alle Regeln bis aufs i-Tüpfelchen auswendig und nerven vor allem
genau damit, in jeder Situation dem Meister zu widersprechen und ihn zu verbessern bzw. neuen Spielern offplay Dinge ins Ohr zu flüstern, die sie inplay sofort umsetzen. Wer diesem Verhalten trotz entsprechendem Wissensvorsprung samt und sonders entsagt (also nicht ohne Pause klugscheisst), der hat auch keinen Grund, sich Munchkin nennen lassen zu müssen. Es ist also auch eine Frage des Verhaltens.
Dazu kommt halt noch die Tendenz, immer das Beste für sich rauszuholen, was ich aber eher wieder als Powergaming bezeichnen würde. Da sind wohl die Grenzen wirklich fliessend. Ich hab mal versucht, das in eine Tabelle zu stecken:
1: Es beginnt beim Spieler, der einen Charakter spielen will.
2: Dann kommt derjenige der seinen Char
gut spielen will.
3: Dann derjenige der seinen Char
gut und glaubhaft spielen will.
Bis hier ist der Punkt, wo man sein Charakterspiel im Vordergrund sieht und es mit den Werten nur unterstützen möchte. Ab da beginnt es mit denjenigen,
4: die hauptsächlich ihre Werte maximieren wollen, aber noch ein bischen Charakter spielen.
5: Dann kommt als Zwischenstufe der
Powergamer, der es nicht nur auf die Wertmaximierung angelegt hat, sondern auch darauf "
keine (nennenswerten) Nachteile" mehr zu besitzen. Gerüchteweise soll es bei diesen sogar gelegentlich noch so etwas wie Charakterspiel geben.
6: Dann kommt der
krankhafte Powergamer, wie 5. nur ohne jegliche Gedanken an Charakter und Ausspielen zu verschwenden.
7: Hier müsste dann eigentlich der
(Power-) Munchkin kommen, aber der definiert sich noch über das Verhalten, von daher ist es schwer zu sagen, ob diese Klassifizierung überhaupt auf ihn zutrifft (oder ob sie es generell tut).
Problem 2: was tun?Ich stimme weitgehend mit den Meinungen der meisten von euch überein. Regelkenner können hilfreich, aber auch nervtötend sein:
Spieler, die sich in den Regeln auskennen, sind gut.
Spieler, die sich in den Regeln
gut auskennen, sind
besser.
Spieler, die sich in den Regeln
perfekt auskennen, sind nervtötend,
wenn sie alle 5 Sekunden den Spielleiter unterbrechen, um ihn darauf hinzuweisen, dass die bekämpften Monster doch eigentlich schon 13 Schadenszähler früher hätten umfallen müssen und ausserdem eine natürliche Schwäche gegen Eismagie haben.Eine ähnliche Tabelle ließe sich für Leute aufstellen, die ständig den Job der anderen Charaktere übernehmen wollen. Irgendwo oben fiel schonmal das schöne Wort "Nische" - jeder hat nunmal seine Nische, also warum sich darum streiten?
Ich erinnere mich im Zusammenhang damit an unsere Shadowrun Spielrunden. Wenn da jemand ankam und alles können wollte, wurde er sofort und gnadenlos von allen anderen Spielern mit der Frage aufgezogen: "Und, wie hoch ist deine MacGuyver-Fertigkeit heute? Hast du auch deinen Bindfaden, deinen Kugelschreiber und deinen Kaugummi dabei?" Meist erledigte sich das Problem an dieser Stelle von allein. Eine entsprechende Fertigkeit gab es natürlich auf keinem Charakterbogen.Für alle, die sich bei Shadowrun schon einmal mit einem Powergamer herumschlagen mussten, möchte ich an dieser Stelle folgenden Text empfehlen:
http://www.drosi.de/soykaf/powergaming.htmIch persönlich fand ihn sehr amüsant und auch ein kleines bischen hilfreich, insbesondere den Teil mit Lt. Jackson und "Murphy's Law"
Besser (weil ausgewogener) finde ich da das System
Earthdawn. Natürlich kann man auch da einen Allrounder bauen, der alles Mögliche kann. Aber das System an sich ist so angelegt, dass man seinem "Beruf" (eigentlich heisst das Disziplin) folgt und alles andere sehr teuer wird. Das klassische Allrounder-Powergaming Beispiel wäre der menschliche Magier, denn Menschen haben hier statt Rassenvorteilen das Talent, alles von anderen Disziplinen lernen zu können.
Natürlich ist es möglich, auf diese Art und Weise einen nah- und fernkampf begabten Zauberer zu bauen, der auch noch erstklassige soziale Fähigkeiten hat; das lässt sich nicht völlig unterbinden. Aber das System balanciert sich dahingehend selbst, denn Allrounden (oder "MacGuyvern") kostet RICHTIG viele der kostbaren Punkte, die man braucht, um sich weiterzuentwickeln. Man braucht nämlich gewisse Voraussetzungen für die nächste Entwicklungsstufe, und da auch die Punkte kosten, überlegt man es sich schon zweimal, ob man nicht lieber den Charakter weiterentwickelt anstatt auf eine weitere Eventualität vorbereitet zu sein. Ausserdem: je höher die Entwicklungsstufe, desto mehr Punkte bekommt man... da fällt die Entscheidung doppelt so schwer!
Darüber hinaus gibt es noch die schöne Faustregel, dass man immer erstmal einen Lehrer braucht, und die wenigsten Lehrer geben Personen Unterricht, die eigentlich anderen Disziplinen folgen.
Aber unabhängig vom System halte ich es mit dem klassischen Prinzip der Waage: wenn auf der einen Seite was reinkommt, geht es auf der anderen Seite hoch. Jeder Vorteil hat einen Nachteil.
Niemand ist perfekt! Und niemand ausser dem Spielleiter weiss, was das Schicksal für den Charakter eines Powergamers im Ärmel hat. Ist es dann Willkür, wenn hinter dem Schirm des Meisters genau die Zahl gewürfelt wurde, die benötigt wurde, um den Powergamer vor dem grossen Endkampf auf die Hälfte seines Könnens zu reduzieren? Oder ist es Schicksal? Und überhaupt, wer will dem Spielleiter hinter den Schirm sehen? Dazu gibts das Ding doch - um die Welt und ihre Zufälle zu simulieren, die ausserhalb des Wissens und Einflusses der Charaktere stattfinden!
Mittel und Wege zum Unterbinden von
spielstörendem Powergaming und Munchen gibt es immer. Man muss als SL nur findig und eloquent genug sein, sich nicht überrumpeln zu lassen und diese Methoden auch anzuwenden.
3: Selbstkritik (ja, die muss auch sein!)So, nachdem ich hier so toll und lehrmeisterhaft über die bösen Powergamer und nervigen Munchkins hergezogen bin, leg ich mal meine Karten auf den Tisch...
Ich selbst wäre laut meiner Skala ein Spieler auf Stufe 3 mit gelegentlicher Tendenz zur 4, ich gebe das ehrlich zu.
Was meinen M-Faktor (also mein Muchkin-Verhalten) betrifft, so würde ich sagen, dass der so bei 5% liegt. Also bei etwa jeder zwanzigsten Gelegenheit überkommt es auch mich und ich muss dann erstmal ein bischen klugscheissen.
Meistens (*räusper*) bekomm ich dann aber rechtzeitig mit, ab wann es dem Rest der Mitspieler und dem SL auf den Keks geht, und dann lass ich es auch wieder sein.
Als SL bin ich damit gesegnet, keine Powergamer (mehr) in meinen Runden zu haben, allerdings würde ich mir persönlich schon wünschen, dass ich ein wenig schlagfertiger auf plötzliche M-Situationen reagieren könnte.
Zu guter Letzt noch eine Aussage, die ich als Spieler und als SL jederzeit so unterschreiben würde:
Ein Charakter ist mehr als Buchstaben und Zahlen auf dem Papier. Mir ist ein gut gespieler Nichtskönner lieber als ein alleskönnender Superheld, der nicht wirklich lebt. Eine runde Hintergrundgeschichte und lebensechtes Charakterspiel sind hundertmal mehr wert als maximierte Werte auf dem Charakterblatt. Für mich ist Rollenspiel, dem Namen auf dem Papier ein Leben zu geben.mfg
Aphiel
edit:
grade eben noch entdeckt
von:
http://de.wiktionary.org/wiki/Powergamer"Powergamer
Bedeutungen:
[1] Spieler, der seine Charaktere nur zum Gewinnen hin ausrichtet und sich nicht auf das Ausspielen von Charakterzügen konzentriert"
Ich find meine Definition auch nicht sooo schlecht. Ich ändere meinen Artikel jetzt nicht mehr