dann versuch mal, da ich eh nicht mehr zum schlafen komme, eine detailierte beschreibung meiner erfahrungen mit paranoia
zunächst die frage, warum paranoia?
wie bereits erwähnt spiele/ meistere ich seit vielen jahren verschiedene rollenspiele und habe als studierter pädagoge einige erkenntnisse /rückschlüsse auf mich und andere spieler machen können. eine wichtige frage ist für mich die der motivation. ist loben geeigneter die spieler engagiert und interessiert bei der stange zu halten als strafen? eine philosophische diskussion mag ich jetzt nicht ausbreiten, aber die erkenntnis, dass der mensch träge und gewohnheitsorientiert ist, wird auch beim rollenspiel bemerkbar. sobald die spieler das system kennen und für sich optimieren fällt das anfängliche interesse exponentiell und läßt sich auch nur schwer durch regelerweiterungen oder neue elemente aufrechterhalten (wirkt für mich immer wie flickschusterei)
nein, die logische konsequenz ist es, den spielern bestimmte wesentliche elemente vorzuenthalten (zB ist der "levelaufstieg" bei vampire das schlimmste verbrechen, was er tunlichst vor dem SCs und NSCs geheimhalten sollte, bei 7te See ist das ultimative Machtelement (die Magie) eine Ausgeburt der Hölle gegen die die Spieler kämpfen, nur wissen sie dies nicht...) Ich habe nach alternative rollenspielen gesucht und bin bei paranoia hängen geblieben, da hier praktisch nichts klar ist, man ständig die bedrohliche unwissenheit mit sich trägt, und man von einer falle in die nächste tappt.
auch von meiner aktuellen runde ist mir der enorme stress des spiels, aber auch die freude über diesen zustand bestätigt worden. der vergleich mit munchkin liegt nahe, wo ebenfalls ein spezifischer humor (über sich selbst lachen können, und natürlich schadenfreude in reinkultur) angesprochen wird.
zum regelsystem:
auf meinem weg zu paranoia habe ich viele merkwürdige gerüchte in der rollenspielszene über das system gehört (ein spiel ohne regeln, absolute anarchie - alles ist erlaubt und doch wieder falsch, ein mordsspiel - du stirbst ständig, ein rollenspiel, das verückte macht, ein mythos - das spiel gibts gar nicht) als ich dann über dich und meinen kumpel bernd aus amerika an das regelwerk gekommen bin, war ich zunächst etwas enttäuscht. wieder gab es erstellungsregeln, treffersysteme, komische tabellen und viele überflüssige infos, die einen als meister eher vom inszenieren abhalten, und den floweffekt senken
ich hab praktisch 75% über bord geworfen und die charaktere mit einem grundgerüst entworfen (ich häng dir mal die handouts für die spieler an)
- es gibt noch skills, und das erste system (für das tutorial) ist: ein stern macht 25% gewinnchance aus
- es gibt noch einen W20, aber ich lasse die spieler bewusst im unklaren, ob sie hoch oder niedrig würfeln sollen
- es gibt geheimgesellschaften und mutationen, diesen teil habe ich nahezu übernommen
- es gibt kein initiative-system, wer zuerst seinen gedanken ausspricht, tut dies auch, die letzte entscheidung liegt bei mir
- wenn die spieler das setting inszenieren und das heft in die hand nehmen bin ich gnädiger als wenn ich mir die arbeit machen muss und die spieler "nur" als konsumenten auftreten
- sämtliche informationen zu und über das spiel erfahren sie über geheimgesellschaften und serviceinstitutionen (natürlich alles gefärbt und widersprüchlich)
- ich habe ein sehr kreatives belohnungssystem (von ignoranz über kleine gimmigs bis deus ex machnina und vertraue da meinem bauchgefühl)
- ich habe eine menge vorbreitet (viele kleine schnipsel mit infos, aufträgen, spam, serviceanfragen, formularen, sonderaufträgen)
- die erstellung läuft ohne ein werte und punktesystem (bei der pro forma verteilung der skills hab ich die jeweiligen fähigkeiten der spieler als ansatzpunkt genommen) alle zusätzlichen einträge (wie ausrüstung, aussehen, software, fähigkeiten) laufen unter: "du musst es benutzen, beschreiben und auf Kommando auch verteidigen können"
- die spieler lernen jeden abend mehr von dem komplex, über sich und die anderen und es ist in ihrem interesse, sich informationen vorzuenthalten und weiterhin "interessant" zu bleiben
- es gibt natürlich enthemmenden alkohol, viele ablenkende nahrungsmittel, es ist erlaubt, ans händy zu gehen etc.
- ich benutze eine große musikdatenbank und spiele passend zu jeder droge/ pille, die die spieler einnehmen (also irische trinklieder, lateinamerikanische tänze, kuschelrock, klassik, blackmetall, elektro...) um die wirkung der drogen zu verdeutlichen -> wenn ein spieler abgelenkt ist, ist es auch der charakter etc.
zu den unterstützenden brettspielen
auf dauer läßt sich eine solch angespannte situation natürlich nicht aufrecht erhalten (wir spielen 1x pro woche knapp 4 stunden)
deshalb ist mir die idee mit den brettspielen gekommen. Die Spieler können hier in eine Welt eintauchen, in der sie alles plastisch vor sich haben, eine veränderung des settings. Natürlich bleiben sie ihre chars, müssen im ernstfall auf einen Zug im Brettspiel verzichten und statt dessen ein Formular ausfüllen etc.
Der Reiz liegt mMn in der umkehr des spielsettings. während die spieler beim erzählspiel nur beschreiben können und sich alles vorstellen müssen um effektiv handeln zu können (minimalprinzip) haben sie hier konkret eine situation gegeben und müssen das beste daraus machen (maximalprinzip)
zunächst das von mir hochgelobte "space alert" (die gut gemachte spielregel ist unter
http://hds-fantasy.de/uploads/tx_boardgames/documents/Space_Alert_Spielregel_DE.pdf einsehbar). diese modernen kooperationsspiele setzen ebenso wie paranoia auf stress, um die spieler an ihre grenzen zu bringen und den wiederspielwunsch (mit lernkurven und verbesserungen als belohnung) zu erwecken.
und "deszent" ist ein klassisches brettrollenspiel, zwar teuer in der anschaffung, aber gut gemacht und mit viel material. Die spieler arbeiten sich durch einen dungeon und der overlord (meister) versucht mit fallen, tricks und monstern das vorankommen zu erschweren. hier werde ich wie bereits angedeutet missionen ala infiltration, bergung, sabotage dürchführen
die welt und den hintergrund habe ich den spielen angepasst. es gibt da also einen planeten erde, darauf einen bürokratischen alpha komplex und eine breite ausdehnung der menschheit auf ähnlichen basen im all, wo man per raumschiff hingeschickt wird und ständig geht irgendetwas schief. mit jedem abenteuer entwickel ich die welt weiter und nehm mir anleihen aus shadowrun, star wars, star trek, vampire, 7te see ...
bislang machts ne menge spaß