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Autor Thema: WOD 2 Vampire: Shortstory – Blutige Küsse (FSK 16)  (Gelesen 4372 mal)
Ninchen
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Skorpion


« am: Dezember 20, 2008, 23:13:46 »

Diese Kurzgeschichte, basierend auf der WoD2, oder genau zu sein Vampire Requiem, schrieb ich diesen Herbst, als ich gerade meine Domäne, ihre Charaktere und Geschichte ein wenig vertiefte. Die Geschichte einer meiner NPCs hatte es mir so sehr angetan, dass ich spontan beschloss, etwas Kurzes dazu zu schreiben.

Die Geschichte spielt in Rumänien, genauer gesagt in Siebenbürgen vor einigen hundert Jahren. Mehr Hintergrundwissen über das Land, meine Domäne oder Vampire: Requiem bzw. die World of Darkness  allgemein sind  unnötig.

Inhalt: Die schlimmste Nacht im Leben eines Mannes und ihre schrecklichen Konsequenzen...

Warnung: Erhält Gewalt, Angst, Verzweiflung etc.

Disclaimer: Hintergrund und Geschichte der Vampire gehören White Wolf, die spezifischen Charaktere gehören alle mir.

Ich fände es toll, wenn der ein oder andere meine Story vielleicht lesen würde... und bitte, bitte gebt mir doch Feedback Smiley
« Letzte Änderung: Februar 24, 2009, 16:11:08 von medusas child » Gespeichert

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Ninchen
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Skorpion


« Antworten #1 am: Dezember 20, 2008, 23:15:50 »


Blutige Küsse

Es gibt Augenblicke im Leben, die ein Mann niemals vergisst.
Auch wenn er es sich noch so sehr wünschen mag, auch wenn er diese Erinnerungen im hintersten Winkel seines Gedächtnisses verbannt, sich schwört, die Vergangenheit auf ewig ruhen zu lassen, irgendwann brechen diese Dämme wieder, irgendwann stürzt die Gedankenflut auf ihn ein, und die Erinnerung steht ebenso klar und grausam vor seinen Augen wie in eben jenen entsetzlichen Momenten.
Ihre Schreie… ich werde nie ihre entsetzten, schrillen Schreie vergessen, die in meinen Ohren hallten, kaum dass ich die Droschke verlassen hatte, lauter wurden, als ich auf das Haus zustürzte, während hinter mir der Feigling von einem Fahrer panisch das Weite suchte. Das Haus war vollkommen dunkel, doch die Vordertür stand weit offen und gähnte mir hohnlachend entgegen, wie das Tor zur Hölle.

Und die Hölle war es, die ich darin finden sollte. Blut, überall Blut, das Dienstmädchen und der Butler mit verdrehten Hälsen und in namenlosem Grauen weit aufgerissenen Augen in der Diele, achtlos weggeworfen. Und immer wieder ihre Schreie, die Schreie meiner kleinen Tochter, entsetzt, hilflos, unverständig zu begreifen, was hier vor sich ging.
Eine einzelne Lampe brannte im Salon, auf einem kleinen Sekretär in der Mitte, wie um eine besonders eindrucksvolle Szene noch mehr hervorzuheben. In dem kleinen Kreis aus Licht, den sie erhellte, lag meine Frau auf dem Boden. Ich weiß nicht ob es Sekunden oder Stunden waren, dass ich sie anstarrte, die eingeritzten Kreuze auf ihren Wangen, auf ihren Brüsten, die das zerrissene Kleid nicht mehr vollständig zu verbergen vermochte, das dunkle Blut auf ihrer porzellanhellen Haut, auf dem schmalen Hals. Und doch sie lebte noch, oder vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, noch einen Hauch von Leben in ihren dunklen Augen aufflackern zu sehen, meinen Namen verzweifelt in einem letzten Atemhauch zu hören, bevor das Licht ihrer Augen endgültig brach.

Leises Lachen von mehreren Stimmen, teils spöttisch, teils amüsiert ertönte aus der Dunkelheit jenseits meines Sichtfeld. Schatten bewegten sich dort jenseits des Lichtkegels, Augen so kalt und leblos wie Glas funkelten auf. Meine Tochter, wo immer sie auch sein mochte, hatte aufgehört zu schreien, so dass ich die dunkle Frauenstimme, dieses sanfte und doch grausame Schnurren, klar und deutlich verstehen konnte.
„Willkommen daheim, großer Held. Nun, gefällt dir unsere kleine Willkommensfeier?“
Ich wollte vorwärts stürzen, mit meinem Säbel auf sie einschlagen – wie lächerlich, als ob bloßer Stahl etwas gegen die Dämonen der Hölle ausrichten können - doch ein ärgerliches Schnalzen ihrer Zunge und eine Bewegung zu meiner rechten hielt mich zurück.
„Wie unhöflich von dir. Du willst doch nicht, dass deinem kleinen Liebling etwas geschieht?“
Und dann sah ich sie, von einem großen, klobigen Schatten nach vorne gezerrt, gerade an den Rand des Lichtkegels, so dass ich guten Blick auf die Pranke hatte, die ihr den Mund zuhielt… und die fünf messerscharfen Klauen, wo die Finger hätten sein sollen, die ganz sanft nur ihren Hals berührten. Ihre großen, braunen Augen starrten ausdruckslos in die Ferne, doch helle Tränen glänzten in ihnen.
„Ihr Teufel…“ Ein tonloses Flüstern kam von meinen Lippen, das weitere Erheiterung in dem Raum auslöste. Scheppernd fiel die Klinge aus meiner Hand zu Boden.
„Wir sind keine Teufel“, entgegnete diesmal die Stimme eines Mannes, so glatt und geschmeidig wie dunkles Öl. „Wir sind Gottes heilige Werkzeuge, SEINE Raubtiere. Und  du bist dazu ausersehen worden, dich unseren Reihen anzuschließen.“
„Wir hätten es dir leichter gemacht“, fiel sie nun wieder ein, gespielter kindlicher Ärger in der Stimme, „aber du musstest uns ja immer wieder davonlaufen.“
Entsetzen lähmte mich nach wie vor, pures Unverständnis, zu begreifen, was hier vor sich ging, in welchen Alptraum ich unversehens gestolpert war, doch unbarmherzig fügten sich die Puzzlestückchen der letzten Wochen zu einem einheitlichen, grausigen Bild zusammen. Natürlich, die in die Flucht geschlagenen Straßenräuber, die schöne Unbekannte auf dem Empfang, die so plötzlich verschwunden war nachdem ich ihre Verführungsversuche schlichtweg abgelehnt hatte, das beständige Gefühl, beobachtet zu werden und niemanden zu sehen, wenn man sich umwandte, die Fremden, die meine Frau bei Tag vor dem Anwesen hatte herumlungern sehen…
Ich war ein Narr gewesen, hatte  in meiner Arroganz geglaubt, meine Familie allein vor allem beschützen zu können. Ich, der große Held, und der noch größere Dummkopf.

„Lasst sie gehen“, bat ich mit zitternder Stimme. „Macht mit mir, was ihr wollt, aber bitte, lasst meine Tochter gehen…“
„Wir werden sehen… Es hängt ganz allein von dir ab, würde ich sagen. Von dir, und wie gefügig du sein kannst…“ Das kalte Lachen schnitt mir tief ins Herz, doch nicht so sehr wie der Anblick des hilflosen kleinen Mädchens in den Klauen dieser Monster. Meine Schuld. Mein eigener, gottverdammter Fehler. Die toten Augen meiner Frau schienen mich anklagend anzustarren und bis heute weiß ich nicht, wie es mir gelang, in jedem Augenblick nicht vollends zu zerbrechen, mich nicht in die besänftigenden Arme des Wahnsinns fallen zu lassen.
„Was soll ich tun?“ Als würde ich außerhalb meines Körpers stehen und mich selbst betrachten, wunderte ich mich, wie ruhig meine Stimme klang, beinahe unberührt von der hilflosen Wut und dem Entsetzen, die in meinem Inneren tobten.
„So ist es gut“, erwiderte sie genüsslich, „und jetzt komm her. Nein, nicht so, ich will dich kriechen sehen. Wenn du…“
Ein scharfes Klirren erklang, als irgendetwas durch das Glasfenster brach. Licht flammte auf, der schwere Geruch von Öl stach mir in die Nase als die kleine Lampe auf dem Boden aufschlug und ihren Inhalt verspritzte, der augenblicklich Feuer fing. Entsetztes Kreischen ertönte und erneut das Geräusch von zerberstendem Glas, noch mehr Flammen, noch mehr Schreie. Einer der Schatten fing in Sekunden Feuer und brannte taghell unter schrillem Gekreische wie eine lebende Fackel. Ich stolperte instinktiv vor dem Chaos zurück, als eine kräftige Hand meinen Arm packte und mich herumdrehte. Dunkle Augen blitzten auf, und ich sah in das  scharfgeschnittene Gesicht des Fremden vom Empfang vor wenigen Stunden, doch ich hatte keine Zeit, überrascht zu sein oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, als seine Stimme, ein einziges Wort nur, das wie ein geschliffenes Messer in meinen Geist einschnitt und alles andere verblassen ließ.
„Komm!“
Willenlos stolperte ich ihm hinterher, wie eine Marionette an gezogenen Fäden, die Diele entlang, fort aus der Flammenhölle und den grässlichen Schreien von Furcht und Schmerz hinter mir. Kühle Nachtluft schlug mir entgegen, sie tat gut und lichtete den Schleier aus tumben Entsetzen und Gehorsam erneut, der sich über mich gebreitet hatte.
Sie war noch dort drinnen. Ich hatte sie in der Hölle zurückgelassen.

„Neeein!“Mit einem Ruck fuhr ich herum und stürzte wieder zurück zum Haus. Ich hörte ein wütendes Aufbrüllen hinter mir, doch es war mir gleich. Eine Gestalt stürmte panisch in der Diele an mir vorbei, doch ich kümmerte mich nicht darum, ich musste sie nur wiederfinden, ich musste….
Kampfeslärm und immer wieder gellende Schreie drangen wie von weit entfernt an meine Ohren, und da war meine kleine Tochter, in einen Winkel des brennenden Zimmers zurückgewichen und ich rannte auf sie zu, packte sie an den Armen um sie davonzutragen. Sie wehrte sich, natürlich, strampelte in Panik und mit einem Mal stand diese hünenhafte Gestalt mit loderndem Zorn  und Furcht in den dunklen Augen direkt vor uns. Messerscharfe Klauen blitzten im Feuerschein und ich versuchte, mich über sie zu werfen, sie mit meinem Körper abzuschirmen, doch es war zu spät. Sie schrie gellend auf und ich spürte warmes Blut  überall auf meinem Gesicht. Irgendetwas stieß mich unsanft beiseite und während ich strauchelte und zu Boden ging, hörte ich ein vollkommen unmenschliches, mehr tierisches Brüllen, das mich mit purem Entsetzen erfüllt hätte, wenn ich überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, noch mehr zu empfinden. Gewaltsam wurde ich wieder hochgerissen und nach vorne gestoßen, wieder in Richtung Tür.
„Du Narr! Willst du dich umbringen?“, schrie jemand in mein Ohr, und dann wurde ich erneut herausgezerrt, hinaus aus dem Haus. Nur vage sah ich weitere Schemen auf dem Rasen umher rennen, kämpfen,  weitere Fackeln blitzen und immer wieder Schreie, Schreie und der Geruch von Feuer, Blut und Tod. Der Geruch eines Schlachtfelds.
Meine kleine Tochter war jetzt ruhig, wehrte sich nicht mehr länger in meinen Armen. Ich hielt sie fest an mich gepresst, während ich vorwärts stolperte und auf nichts anderes achtete auf das ach so leichte, warme Bündel in meinen Armen und das Blut, das von ihrem Rücken über meine Hände strömte, kostbares Leben, das aus ihr herausfloss wie dunkler Wein aus einem achtlos umgeworfenen Glas.

Der dunkle Kastenbau einer Kutsche türmte sich vor uns auf, eine Tür wurde aufgerissen und ein unsanfter Stoß in den Rücken ließ mich ins Innere stolpern. Befehle wurden gebrüllt, eine Peitsche knallte und gleich darauf setzten sich die davor gespannten Pferde sich in rasenden Galopp und die Kutsche  in Bewegung. Ich sank auf dem hölzernen Gang zwischen den beiden Sitzreihen nieder und beugte mich über meine Tochter, mein kleines Mädchen, das ich so fest in den Armen hielt wie seit Jahren schon nicht mehr.
„Kleines! Kannst du mich hören…?“, flüsterte ich mit zitternder Stimme.
Ihre Augen waren geschlossen und ihre Haut beinahe weiß im fahlen Mondlicht, welches durch die Fenster der Kutsche fiel. Von vorne sah es aus als schliefe sie, friedlich wie ein Engel, die langen brauen Locken fielen so leicht wie Federn herab, doch als ich sie sanft umdrehte, sah ich die entsetzlich tiefen Wunden, welche die Klauen in ihrem Rücken geschlagen hatten. Meine Hände, mein Rock, alles war durchtränkt von Blut, das beständig hervor sickerte. Fieberhaft tastete ich nach einem Puls, suchte nach irgendeinem Lebenszeichen, doch nichts. Überhaupt nichts.
„Nein… nein…“, Meine Stimme brach vor Verzweiflung, doch in meinem Inneren schrie alles entsetzt auf, unwillig, zu begreifen, unfähig zu verstehen. Zu verstehen, dass sie tot war.
Meine Kleine, mein Engel, meine einzige, meine geliebte Tochter. Was hast du Schlimmes getan, dass er, der alle Geschicke lenkt, dich so früh wieder zu sich ruft?
Was habe ich getan, dass ich so grausam bestraft werde?
„Es tut mir Leid“, flüsterte ich erstickt, während ich mein Gesicht in ihrem Haaren vergrub, den kleinen Körper zärtlich in meinen Armen wiegte. „Ach Kleines, es tut mir so Leid…“

„Es war nicht Ihre Schuld“, entgegnete eine ruhige Stimme hinter meinem Rücken, die mich dennoch erschrocken und wütend zusammenzucken ließ. Mussten sie mir selbst jene letzten, kostbaren Minuten mit meiner Tochter noch zerstören?
Er saß ruhig auf einer der Seitenbänke und beobachtete mich, immer noch im Frack, ein Bein hochgeschlagen, wie ein Edelmann nach einer langen Feier sich in seiner Kutsche ausruhen mag.
„Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie?“, fuhr ich ihn an, doch er lächelte nur nachsichtig.
„Zuallererst einmal bin ich Ihr Lebensretter für den heutigen Abend, würde ich sagen. Und ansonsten war ich der Meinung wir wurden vorhin einander vorgestellt.“
„Das ist nicht das, was ich meine, und Sie wissen es genau“, entgegnete ich kalt. „Weswegen waren Sie bei mir?“
„Deswegen, warum die anderen auch kamen“, gab er gleichmütig zu, „nur dass sie ein wenig schneller waren als ich.“
Mit einem Ruck war ich auf den Beinen und meine Hand fuhr an den Gürtel. Doch die Säbelscheide war leer und so zog ich kurzen Dolch auf der anderen Seite, und richtete ihn auf den Fremden. Meine Hand zitterte und ich musste mir Mühe geben, in der schwankenden Kutsche nicht zu fallen.
„Geben Sie mir einen Grund, warum ich Sie nicht hier und jetzt niederstechen sollte!“
„Wie wäre es mit: du würdest es nicht fertigbringen?“, entgegnete mein Gegenüber ruhig, ohne sich auch nur im Mindesten zu bewegen oder von der Bedrohung beunruhigt zu zeigen.
„Vielleicht haben Sie recht“, gab ich zu und zog den Dolch zurück, nur um die Spitze gegen meine eigene Kehle zu halten und einen sarkastischeren Tonfall anzuschlagen. „Vielleicht sollte ich lieber mich selbst hineinstürzen, da Sie alle so bestrebt sind, mich lebend in Ihre Hände zu bekommen und dabei auch vor Frauen und unschuldigen Kindern nicht halt machen.“
„Sei kein Narr, sonst lernst du mich von der unangenehmen Seite kennen“, knurrte er, und diesmal blitzte echter Zorn in seinen Augen auf. „Und, um Gotteswillen, leg die Waffe weg!“
Ich gehorchte, ohne wirklich zu wissen, warum und legte den Dolch auf der Bank neben ihm nieder. Ein grenzenloses Gefühl von Ausgebranntheit und grenzenloser Erschöpfung überkam mich und ich wollte nichts anderes als mich in Ruhe in irgendeinen stillen Raum zurückzuziehen und meine Tochter in den Armen zu halten solange ihr Körper noch warm war und darüber hinaus, sie nie wieder loszulassen und dann einzuschlafen um niemals wieder aufzuwachen.
„Hör mir zu!“, drang seine Stimme wieder unangenehm in meine Gedanken ein. „Ich sagte, ich wollte dasselbe von dir, was die anderen wollten. Das heißt nicht, dass ich dafür über Leichen gehen wollte. Diese… Leute, die in deinem Haus waren, sind Monster, gewissenlose Schlächter die ihre Unmenschlichkeit mit einem aberwitzig verzerrten Glauben rechtfertigen, der sie für immer von allem Menschlichen trennt.“
„Und Sie? Was sind Sie?“, murmelte ich und ließ mich erneut neben meinem kleinen Mädchen auf die Knie fallen, zog ihren Kopf auf meinen Schoß und streichelte ihr Haar. Sie wurde bereits kälter, oder bildete ich mir das nur ein?
Meine Frage schien den Fremden zu belustigen, denn er lachte kurz auf. „Nun, wenn ich dir die Frage beantworten würde, würdest du mir ohnehin nicht glauben. Darum sieh mich fürs erste als einen Geschäftsmann.“ Er schwieg einen Moment lang und als ich aufsah, blickte ich direkt in seine dunklen Augen, die nachdenklich auf meiner Tochter und mir ruhten.
„Und ich glaube, ich hätte dir ein interessantes Angebot zu machen…“
« Letzte Änderung: Dezember 20, 2008, 23:19:23 von Ninchen » Gespeichert

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Skorpion


« Antworten #2 am: Dezember 20, 2008, 23:18:20 »


***

Im Nachhinein kann ich nicht mehr sagen, wie lange die Reise von Klausenburg nach Kronstadt andauerte. Waren es Tage oder Wochen? Ich weiß es nicht mehr, nur dass die ständigen Nachtfahrten, der Blutverlust und die düstere Hoffnungslosigkeit, die  mich fest in ihren gierigen Klauen hielt, ihren Tribut forderten und die gesamte Reise zu einem dumpfen  Traum werden lassen. So mag sich der Rausch eines Opiumsüchtigen anfühlen, ein stumpfes Dahindämmern mit gelegentlichem schmerzhaftem, qualvollem Erwachen, wenn mir die Tragweite des Geschehens und ihre Konsequenzen in ihrer grellen Brutalität vor Augen standen.
Als wir Braşov erreichten, fühlte ich mich bereits mehr tot als lebendig. Er brachte mich in ein Zimmer in irgendeinem Haus und hieß mich, auf seine Rückkehr zu warten. Ich ruhte auf der Couch und im Kamin flackerte ein kleines Feuer. Benommen starrte ich in das Flammenspiel, unfähig, mich auf nur einen Gedanken zu konzentrieren. Mein Mund war trocken wie Sandpapier und meine Glieder waren schwer wie Blei, während meine Erinnerungen und Gedankenfetzen kreisten, kreisten und ein grelles, grausames Mosaik in meinem Kopf bildeten. Ich würde sterben, noch in dieser Nacht, dies stand mir deutlich vor Augen, doch seltsamerweise machte mir der Gedanke nicht mehr allzu viel aus. Meine Frau, meine Tochter, sie beide waren bereits tot und ich konnte es kaum erwarten, mich zu ihnen zu gesellen. Er hatte sie mit sich genommen, doch ich war bereits zu schwach gewesen, um dagegen Einspruch zu erheben.

Ich hob nicht einmal mehr den Kopf, als sich die Tür mit einem leisen Knarren öffnete und Schritte sich näherten, konnte meinen Blick nicht von den hypnotisch flackernden Flammen lösen.
„Wo ist sie jetzt?“ Es war nur noch ein gebrochenes Flüstern, das meine Lippen verließ.
„An einem besseren Ort als diesem hier“, erwiderte er beinahe sanft. „Sie war so jung, sie kann nicht viel Schuld auf sich geladen haben.“
„Was…?“ Mühsam versuchte ich mich hochzustemmen, den schweren Schleier aus Gleichgültigkeit und Erschöpfung abzuwerfen, auch wenn dann der Schmerz wiederkommen würde. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen bei dem Versuch, sein Gesicht zu fixieren.
„… sehe schon, er hat sich großzügig bei dir bedient…“, hörte ich wie von weit her sagen und dann ein kaltes, helles Lachen, das mir einen Schauder über den Rücken jagte. Es war mir nur zu vertraut, denn es hatte mich in meinen Träumen Tag für Tag und Nacht für Nacht verfolgt.
„Dann hätte ich mir ja gar nicht soviel Mühe geben müssen.“
Ich wusste nicht ob ich halluzinierte als das aristokratische, männliche Gesicht vor meinen Augen mit einem Mal verschwamm und den feineren einer Frau mit porzellanhellem Teint und kalten grauen Augen wich, bevor mich irgendetwas Schweres im Nacken traf und ich das Bewusstsein verlor.

Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich absurderweise ein wenig besser. Mein Kopf schmerzte und fühlte sich benebelt an, doch die lähmende Schwere war aus meinen Gliedern gewichen und meine Sicht klärte sich rasch. Dies war aber auch die einzige Verbesserung, wie ich recht schnell feststellen konnte. Ich lag auf dem Rücken auf einem Bett, ein merkwürdiger, trockener Geschmack in meiner Kehle,  meine Hände waren mit soliden Stricken an die Pfosten gefesselt, und irgendjemand hatte mich obendrein meiner Kleidung entledigt. Nach und nach kehrte auch die Erinnerung an das Geschehene zurück und mir dämmerte, dass irgendetwas furchtbar schiefgelaufen war. Mühsam hob ich den Kopf um mich im dem kleinen Zimmer umzusehen, das nur durch den schwachen Schein einer kleinen Öllampe beleuchtet war.
Sie saß auf dem Tisch, die Beine undamenhaft gekreuzt und das edle blaue Seidenkleid hochgerafft, so dass ich ihre schlanken Fesseln und Waden sehen konnte und hielt ein Glas mit einer dunkelroten Flüssigkeit nachlässig in ihrer rechten Hand. Das kunstvoll mit Silberborte und Perlen verzierte Kleid war sündhaft tief ausgeschnitten und auf die weißen Schultern fiel reiches dunkles Haar herab. Eiskalte, graue Augen, die wie Glasmurmeln in dem perfekt geschnittenen, puppenhaften Gesicht wirkten, musterten mich mit spöttischem, aber kaltem Interesse, so wie ein Wolf seine Beute mustern mag, um zu beurteilen ob die Jagd darauf sich lohnt. Sie war schön, ja, aber ihre Schönheit war wie eine dünne Tünche, aufgetragen auf dem Antlitz einer Bestie, die darunter hervorschimmerte und mein Herz vor Furcht in meiner Brust hämmern ließ.

„Ah, endlich bist du wach, mein Held“, raunte sie mit dieser verführerischen, dunklen Stimme, die so viel versprach. Sie sprach ungarisch, aber mit einem unüberhörbar deutschem Akzent, stellte ein Teil meines Bewusstseins nüchtern fest, während der andere vor Angst aufschrie, als sie katzenhaft von der Tischplatte glitt und langsam auf mich zukam, jede einzelne Bewegung, jeder Hüftschwung eine sündhafte, unirdische Versuchung.
„Du hast mir ganz schönen Ärger bereitet, weißt du das?“, fuhr sie schmollend wie ein kleines Mädchen fort. „Drei meiner Gefährten wurden vernichtet, alles wegen dir und deinem Freund.“ Sie streckte eine Hand aus und fuhr mit dem Finger langsam meinen Bauch und meine Brust entlang. Ich wäre am liebsten zurückgezuckt, denn die Berührung war kalt, eiskalt, so wie alles an ihr.
„Er hat dich übrigens sehr gut bewacht, weißt du das? Es war nicht gerade einfach, wieder an dich heranzukommen, nachdem er dich einmal in den Händen hatte. Geradezu eifersüchtig… als wärst du ein besonders wertvoller Schatz.“ Sie lachte leise, ein Laut der mich an klirrendes Eis erinnerte. „Aber wer weiß, vielleicht warst du das ja sogar für ihn?“ In einer Geste, die wohl Koketterie ausdrücken sollte, legte sie ihren Kopf zur Seite und betrachtete mich abschätzend. „Ich könnte ihn verstehen, du bist wirklich ein Hübscher, ganz wie sie sich beschrieben haben. Allerdings hätte ich mir dich größer vorgestellt“, fügte sie mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.
„Was wollen Sie eigentlich von mir?“, fragte ich müde.
„Liebling, ich will das was sie alle von dir wollen“, entgegnete sie nachsichtig, als würde sie mit einem dummen Kind sprechen und spielte zärtlich mit einigen meiner Haarsträhnen um nur einen Augenblick später fester zuzupacken und meinen Kopf herumzuzerren, als ich mich ihr entziehen wollte. „Ich will dich in die Nacht holen, zu einem meinesgleichen machen, einem Raubtier Gottes, einem unbarmherzigen und gerechten Jäger seiner Herrlichkeit“, flüsterte sie so eindringlich, dass mir ein Schauder über den Rücken lief. „Allerdings nicht in diesen dummen Ventrueclan, in dem er dich haben will. Du hast etwas Besseres verdient, als in wenigen Jahrzehnten ein verrücktes, plapperndes Wrack zu sein, dass  Freund nicht mehr von Feind zu unterscheiden vermag.“
„Welch rührende Umsicht“, entgegnete ich sarkastisch. „Eher sterbe ich, als so zu werden wie Sie!“
 „Das wirst du ohnehin, mach dir da keine Hoffnungen!“, sagte sie verächtlich, nur um im selben Moment von mir abzulassen und sich katzenhaft auf mich zu schwingen, ein Bein auf jeder Seite meiner Hüfte. Rauschende Stoff und darunter kühle, seidige Haut streifte die meinige und ich hasste mich selbst dafür dass mein geschwächter Körper, dieser Verräter eines jeden Mannes, auf dieses Monster reagieren wollte. Sie bemerkte es und lächelte triumphierend, bevor sie mit ihrer sanftesten und verführerischsten Stimme flüsterte: „Sag, gefalle ich dir?“
„Ich hatte schon Huren mit mehr Stil“, erwiderte ich so verachtungsvoll wie nur irgendwie möglich, was ihr einen wütenden kleinen Aufschrei entlockte.
„Jetzt wirst du ungezogen!“
Mit einem Klirren zerbarst das Weinglas an dem Bettgestell, dort wo eben noch mein Kopf gewesen war, den ich geistesgegenwärtig zur Seite gedreht hatte. Ein Regen aus zerberstenden kleinen Glassplittern und salziger Flüssigkeit traf mich. Blut, natürlich war es Blut, vielleicht sogar mein eigenes?
„Keine Angst, das ist nicht deines“, beantwortet sie meine Frage, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Du wärst augenblicklich gestorben, wenn ich dir noch mehr genommen hätte. Ich musste dir sogar noch von meinem eigenen geben um dich wieder wachzubekommen.“
Der Gedanke, das Blut dieser Kreatur getrunken zu haben, ließ mich vor Ekel erschauern und nun konnte ich mir auch den seltsamen Geschmack im Mund beim Aufwachen erklären. Sie lachte, als sie meine Mine betrachtete und legte sich dann ganz auf mich, schmiegte sich an meinen Körper wie eine Katze um erneut meinen Kopf zurückzuziehen und genüsslich über meine Wange zu lecken.
„Allerdings“, murmelte sie leise und verheißungsvoll, „eigentlich spielt es jetzt auch keine Rolle mehr, nicht wahr?“
Mein eigener heiserer Schrei klang in meinen Ohren nach, als glühende Feuerstäbe sich in meine Halsbeuge gruben und heißer, süßer Schmerz durch mein Blut raste. Es tat weh, doch nur im ersten Moment, dann hatte ich das Gefühl, schwerelos zu sein und einen tiefen, angenehm kühlen Abgrund hinabzusinken, immer weiter, immer tiefer…

Kühle, sanfte Lippen auf den meinigen und ein salziger Geschmack holten mich zurück in die Wirklichkeit. Doch für den Moment schwindelte mir, das Zimmer und ihr Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Blut, überall war Blut, auf unseren Lippen,  auf ihrer Zunge, in meinem Mund, und diesmal wusste ich, dass es mein eigenes war, doch ich war viel zu schwach, um mich noch gegen meine Peinigerin wehren zu können, die Mörderin meiner Frau und meiner Tochter, die mich so leidenschaftlich küsste als währe ich ihr langjähriger Geliebter gewesen.
„Hmmm, du schmeckst köstlich“, flüsterte sie in mein Ohr wie eine Liebkosung. „Ich wollte länger warten, dich noch einige Tage als mein Spielzeug behalten, aber du machst mich einfach vollkommen verrückt, mein Held.“ Und dann noch leiser, so dass ich es kaum noch verstehen konnte: „Bist du bereit für die ewige Verdammnis?“
Ich wollte schreien, doch meine Kehle war zu trocken, als dass ich auch nur einen Ton herausgekriegt hätte. Ich wollte mich wehren, doch meine Glieder wurden langsam taub, bewegungslos.
Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…
Meine Gedanken flossen dahin wie zäher Sirup und  das Zimmer wurde mit jedem gequälten Atemzug dunkler vor meinen Augen. Ich konnte meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren pochen hören, dumpf und langsam, wie der Schlag einer Totenglocke.
Und vergib uns unsere Schuld, was auch immer ich getan haben mag, vergib mir…
Das letzte was ich sah, war ihr Gesicht, wie eine dämonische Fratze über mich gebeugt, mit gebleckten Zähnen, bevor sie sich mit einem tierischen Knurren auf mich stürzte und ihre Zähne erneut in meinem Hals vergrub. Doch diesmal war der Schmerz nicht so schlimm wie beim ersten Mal, als ich zurück in den Abgrund stürzte, diese kühle beruhigende Dunkelheit, die sich wie ein Schleier über mich senkte, allen Schmerz, alle Gefühle auslöschte und nichts übrigließ als ein beinahe heiteres Gefühl von Ruhe und einem tiefen Frieden als mein Herz aufhörte zu schlagen.

Lange schwebte ich in der Dunkelheit, ohne Bewusstsein, ohne klare Gedanken, bis sie heller wurde und einem sanften, zärtlichen Licht zu weichen begann, das mich tröstend umgab. Ich konnte das Gesicht meiner geliebten Frau erkennen, nur als Schemen und ich glaubte, sie lächelte und streckte ihre Hand nach mir aus. Doch als ich sie ergreifen wollte…
… riss mich irgendetwas zurück. Zurück in die Dunkelheit, zurück in die Schmerzen, zurück in das Feuer, in die wahrhaftige Hölle. Flammen ergriffen meinen Körper, brennendes, süßes Gift kroch durch meine Adern und ich wollte schreien, doch es erstickte mich und riss mich mit sich fort. Es war ein Rausch, ein Rausch aus Begierde und grenzenloser Ekstase in den ich taumelte, der jede Faser meines Körpers erzittern ließ und ihn zwang, weiter zu existieren. Und dann war es vorbei und ich lag nackt und hilflos in der Dunkelheit, zitternd, hilflos und doch wach, wacher als ich es vielleicht je zu Lebzeiten gewesen war. Ohne das Pochen meines Herzens und das Rauschen des Bluts in meinen Ohren schien mein Gehör viel feiner geworden zu sein, denn ich konnte jedes Wort, das gesprochen wurde genau verstehen, wenngleich mein Geist noch zu verwirrt war, um ihren Sinn vollends zu begreifen.

 „…sollte das denn? Ich dachte, Ihr wolltet ihn erst verwandeln, wenn das Vinculum gefestigt ist!“
 Wo war eigentlich die zweite Person hergekommen, wunderte ich mich. Das Zimmer war doch außer ihr und mir leer gewesen, oder war ich so lange ohne Bewusstsein gewesen?
„Ich wollte ihn eben jetzt haben.“ Die nähere war ihre Stimme, jetzt kalt und gleichgültig, und zu meiner Überraschung auch erschöpft. Hatte ihre Tat sie so erschöpft? Vorsichtig öffnete ich die Augen und riskierte einen Blick.
Sie saß auf der Bettkante, den Blick von mir abgewandt und stritt mit irgendjemandem, der mit verschränkten Armen an der Wand auf der anderen Seite des Zimmers stand. Es war ein Mann, schlank, hochgewachsen und mit einer kleinen, runden Brille und bei seinem Anblick krampfte sich irgendetwas in mir zusammen. Irgendetwas in mir wollte nichts lieber als aufzuspringen und mich auf ihn zu stürzen, ihn zu Boden zu zwingen, in blindem Zorn auf ihn einschlagen, doch ich drängte den Impuls mit aller Macht zurück. Wut half überhaupt nichts, wenn ich meiner Lage entkommen wollte und zum ersten Mal dachte ich wirklich an Entkommen. Meine Sinne waren hellwach, mein Körper stark und er würde tun, was ich ihm befahl, dessen war ich gewiss. Nur meine Kehle brannte, als bestünde sie aus Sandpapier.

„Hättet ihr gewartet und ihm morgen und übermorgen Nacht noch einmal von Euren Blut gegeben, wäre er so fügsam gewesen wie ein kleines Hündchen“, warf der Mann ärgerlich ein. Ich schloss schnell die Augen, als er kurz zu mir herübersah, um sie gleich darauf wieder für einen Spalt zu öffnen. Probeweise zog ich sanft an einem der dünnen Seile um meine Handgelenke, doch sie saßen fest. Doch aus den Augenwinkeln konnte ich eine größere Glasscherbe des zerschmetterten Weinglases erkennen, die praktischerweise direkt neben meinem rechten Handgelenk lag. Vorsichtig, ganz langsam versuchte ich die Hand so zu drehen, dass ich die Scherbe mit den Fingerspitzen zu fassen bekam und in die richtige Position eingeklemmt zwischen Pfosten und Stricken drehen konnte. Und tatsächlich, es gelang. Während ich nach wie vor die beiden Streitenden durch halb geschlossene Lider im Auge behielt, rieb ich die Fessel behutsam gegen das scharfe Glas, langsam, so dass niemand bemerkte, was ich tat und die Scherbe nicht durch eine unvorsichtige Bewegung abrutschen und hinter dem Bett verschwinden würde.
„Vielleicht will ich ja gar kein fügsames Hündchen. Vielleicht will ich ja, das er weiß, was ich ihm angetan habe, bevor er zu meiner bewundernden Marionette wird“, erwiderte sie schmollend und doch ohne jeden Versuch, den grausamen Triumph in ihrer Stimme zu verbergen. „Der Konflikt zwischen seinem Hass auf mich wegen dem, was ich ihm angetan habe und die erzwungene Liebe durch das Blut wird ihn früher oder später zerbrechen und zu dem gehorsamen Werkzeug machen, das ich haben will.“
„Oder seinen Geist zerstören und ihn zu einem winselnden Schwachkopf machen“, schnaubte der andere.
„Nein, das wird er nicht, er ist stark“ Ihre Stimme klang beinahe liebevoll und ich schloss die Augen und ließ die Scherbe ruhen, als ihre Hand kurz über meine Wange strich, bevor mir die Bewegung der Matratze anzeigte, das sie aufgestanden war.
„Oder ist es etwas ganz anderes, bist du etwa eifersüchtig, mein Kleiner?“, neckte sie, während sie sich vom Bett entfernte und ich meine Arbeit verbissen wieder aufnahm. Die ersten Fasern gaben bereits nach. „Eifersüchtig auf deinen neuen Bruder? Hast du Angst, ich könnte ihn dir vorziehen?“
„Natürlich nicht“, knurrte er, doch ich konnte selbst mit geschlossenen Augen die Lüge in seiner Stimme hören. Sie lachte spöttisch auf.
„Mein armer kleiner Welpe! Hab keine Furcht, ich würde dich niemals vergessen. Er ist doch nur ein Spielzeug, und bald ein Instrument meines Willens – für die heilige Sache und um diesem verdammten kleinen Emporkömmling von einem Ancillae ins Gesicht zu spucken, ihm zu zeigen dass er nicht ganz so allmächtig ist wie er offensichtlich glaubt. Hm.“ Sie schwieg einen Moment um dann erneut zu lachen. „Ich wette, er hätte die Schlampe und das verdammte Balg auch umgebracht, wenn wir ihm nicht zuvorgekommen wären.“
Mit einem Klirren rutschte die Scherbe ab und fiel hinter das Bett, als sich bei diesen Worten meine Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt hatten. Da war er wieder, dieser unheimliche, blitzschnell aufsteigende Zorn in meinen Adern, der meinen ganzen Körper in Besitz zu nehmen drohte, dazu noch der mittlerweile beinahe quälende Durst, der mich noch in den Wahnsinntreiben würde. Wie durch einen roten Schleier bekam ich mit, wie sie sich überrascht umwandte und sich langsam dem Bett annäherte.

„Ah, er ist wach. Nun, Liebling, wie fühlt sich das Sterben an? Nicht so schlimm, wie man meinen möchte, oder?“    Sie lachte leise und beugte sich über mich „Wir sprachen gerade über deine Tochter und deine Frau“, fuhr sie honigsüß fort. „Willst du wissen, was das letzte war, was sie gesagt hat?“
Ein Teil von mir wollte in Furcht zurückweichen vor dieser grässlichen, dieser alten Kreatur, die sich über mich beugte, und die mich mit einem nachlässigen Wink ihrer Hand töten konnte wenn sie wollte. Der andere wollte ihr an die Kehle springen und, hin und hergerissen zwischen diesen scheinbar übermächtigen Impulsen lag ich zitternd vor Furcht und Hass vor ihr.
Sie beugte sich noch näher an mich heran und ihre Stimme war wieder diese verführerische Flüstern, dass ich in den vergangenen Stunden zu hassen gelernt hatte.
„Sie schrie, sie wünschte, sie hätte dich nie kennengelernt. Sie verfluchte dich und wünschte, du solltest in der Hölle schmoren.“

Ihre Worte waren wie ein scharfer glühender Speer, der den seidenen Faden meiner letzten Selbstbeherrschung durchtrennte. Wie von weit her hörte ich mich selbst aufbrüllen, ein unmenschlicher, tierischer Laut als ich mich mit aller Macht, nur noch beseelt von purem Hass und dem Verlangen sie zu zerreißen vorwärts warf. Der angeschnittene Strick an meiner linken Hand riss wie ein Bindfaden und ihr schriller, erschrockener Schrei klang köstlich in ihren Ohren als ich ihre Kehle zu packen bekam und ohne einen Moment zu zögern meine Zähne mit voller Kraft hineinschlug. Sie durchbrachen die Haut als wäre sie aus Butter und süßes, rotes Blut spritzte mir entgegen, benetzte mein Gesicht, sprudelte in meinen Mund. Ohne zu wissen was ich tat, schluckte ich gierig die köstliche Substanz, hielt sie immer noch gepackt, spürte in einem grausamen Genuss ihre Furcht und ihre Ekstase, die Unfähigkeit, sich mir zu entziehen. Pure Kraft schien durch meine Adern zu strömen, mich stärker, schneller und lebendiger zu machen, als ich es je gewesen war, und mit einem beinahe unwilligen Ruck befreite ich auch mein anderes Handgelenk, hielt sie mit beiden Händen gepackt, diesen kalte, mörderischen Dämon, der nun endlich Vergeltung für seine bestaliaschen Taten erfahren sollte. Doch in diesem Moment riss jemand an meinem Arm, zerrte mich brutal fort von ihr, so dass sie bewegungslos zu Boden sackte. Wütend wirbelte ich herum und schlug nach meinem neuen Gegner, erwischte ihn auch und er taumelte zurück. Ich bleckte die Zähne und fauchte warnend, sollte er es wagen, sich mir erneut zu nähern und ich weiß nicht, was er in meinem Gesicht sah, doch ich sollte mein Spiegelbild nur wenige Augenblicke später sehen, als er verharrte unschlüssig und sah für einen winzigen, verräterischen Moment herüber zum Bett. Sie erhob sich wie ein wahrer Racheengel, das Gesicht blutbespritzt und von einem tierischen Hass zur Fratze verzerrt und ein Blick in ihre vor Wut lodernden Augen und ich wusste, dass sie mich vernichten würde.

Panisch griff ich nach dem nächsten Gegenstand, der in meiner Reichweite stand um ihn irgendwie als Waffe zu verwenden, während ihre Gestalt zu einem flackernden Schemen wurde, der so schnell auf mich zuraste dass ich nichts weiter tun konnte als mich zu ducken und mit der dem Ding in meiner Hand nach ihr zu schlagen. Glas explodierte klirrend und ein gellender Schrei aus mehreren Kehlen hallte durch das Zimmer als das Öl in der kleinen Lampe und sie selbst Feuer fingen. Auch ich schrie und wich entsetzt zurück vor diesem tödlichen Feind, der so grell brannte dass ich geblendet wurde. Ich wollte nur noch fort, flüchten, rennen, egal wohin, nur fort von dem grausamen Brand, doch die versperrte mir den Weg zur Tür und der einzige andere Ausweg war das Fenster. Aus den Augenwinkeln konnte ich noch sehen, wie sie vollends in Flammen stand und aus vollster Kehle in Todesangst schrie, bevor sie langsam zu zerfallen begann und dann war da nur noch das Zerbersten des Fensterglas, als ich in Panik dagegen sprang, es durchbrach und fiel.

Es gelang mir, mich einigermaßen abzurollen und so die Wucht des Sturzes zumindest ein wenig abzufangen. Augenblicklich war ich wieder auf den Füßen, als eine weitere dunkle Gestalt nur wenige Augenblicke hinter mir aus demselben Fenster hechtete und neben mir aufkam. Etwas benommen von dem Sturz und der abklingenden Panik rappelte er sich auf und erstarrte, als er mich erkannte.
„Lauf“, knurrte ich langsam und fragte mich zugleich, ob diese dunkle, bedrohliche Stimme wirklich noch die meinige war. „Für dieses Mal…“
Ich weiß nicht ob ich wirklich die Kraft hätte mich nach alldem ihm noch entgegenstellen zu können, war er doch ausgeruht, unverletzt und bereits viel länger in der Nacht als ich. Doch meine bedrohliche Haltung und der Klang meiner Stimme schienen ihre Wirkung nicht zu verfehlen und er stürzte hastig davon, verschwamm im Lauf zu einem undeutlichen Schemen, so wie seine – unsere – Erschafferin vor ihm und war in kürzester Zeit verschwunden. Ich war allein.
Einige Augenblicke verharrte ich lediglich bewegungslos, ließ zu dass Anspannung, Furcht und Zorn von mir abfielen. Es war dunkel geworden hinter dem Fenster im ersten Stock, scheinbar hatte das Feuer nicht auf das Mobiliar übergegriffen. Oder war es ihr vielleicht doch noch gelungen, die Flammen zu ersticken, sammelte sie nur ihre Kräfte um sich gleich wieder auf mich stürzen?
Ein Schauer lief über meinen Rücken und dann wandte ich mich ab, machte mich zügig, aber ohne kopflose auf den Weg durch die Häuserreihen, hinein in das Gewirr von kleinen, dunklen Gässchen dieser fremden Stadt.
Hinein in die erste Nacht meines Requiems.

Gespeichert

May you never lie, steal, cheat or drink!
But if you must lie, lie in each other's arms.
If you must steal, steal kisses.
If you must cheat, cheat death.
And if you must drink, for god's sake, drink Whisky!
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