Vomo
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« Antworten #60 am: August 14, 2009, 01:10:06 » |
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Die Begeisterung, mit der Marcin Barnuta dieses Naturphänomen erklärte, war ansteckend und der Westslave war gespannt, diese alsbald zu Gesicht zu bekommen. Barnuta genoss diese Vorfreude ebenso wie das Schweigen während der Wanderung. Seine Gedanken schweiften in die Zeit seiner Jugend, als er in den Wäldern der Mark Brandenburg zu Hause war und dies durchstreifte. Wehmütig dachte er an seine Familie und an sein Vorhaben, irgendwann einmal auf die Insel seiner Vorfahren zurückzukehren.
Der plötzliche Halt riss Barnuta in die Wirklichkeit zurück. Er liess sich neben Marcin nieder und war überrascht, als er das getrocknete Obst vor sich sah. Irgendwie schien ihn heute alles an seine Vergangenheit zu erinnern. Er überlegte, wie lange es her sein mochte, dass er so mit Joel zusammen gesessen hatte. Merkwürdig war das schon, dass es genau die Speisen waren, die Joel und er auch auf ihren Reisen verzehrt haben. Dennoch griff Barnuta dankbar zu und bot hingegen seinem Begleiter den mitgebrachten Schinken und die Dauerwurst an.
Barnuta stärkte sich und nahm einen großen Schluck Wasser, bevor er sich in das Moos des Waldbodens fallen lies um das Spiel des Sonnenlichts in den Baumwipfeln zu beobachten. Als er bemerkte, dass Marcin die Reste zusammenpackte, erhob er sich wieder - bereit für die Suche nach dem Eingang zu dieser Tropfsteinhöhle.
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« Letzte Änderung: August 14, 2009, 20:27:29 von Vomo »
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Wuschel
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« Antworten #61 am: August 14, 2009, 20:42:22 » |
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Nach einer Halben Runde um das Lager entdeckte Barnuta den Höhleneingang. Er konnte verstehen, daß der Kundschafter hineingefallen war, den beinahe wäre das gleiche ihm geschehen. Überwachsen von Farn offenbarte sich unverhofft ein schräg, fast senkrecht abfallender Schacht, den man anscheinend nur mit großer Kraft von unten emporklettern konnte. Wie der Kundschafter es mit einem gebrochenen Bein geschafft hatte, war ihm ein Rätsel. Zwei Schritt von dem Schlund entfernt stand ein mächtiger Baum, eine Buche um genau zu sein. Barnuta schätzte, daß er den Abstieg unverletzt überstehen konnte, wenn er darauf vorbereitet war.
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Vomo
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« Antworten #62 am: August 14, 2009, 22:03:52 » |
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Geschickt machte Barnuta einen Satz über die verdeckte Öffnung im Boden und lies sich auf der anderen Seite vorsichtig auf die Knie nieder, um über den Rand in den Abgrund zu spähen.
Viel konnte er nicht erkennen und so schaute er sich um, wie man den Abstieg in diese Tropfsteinhöhle sichern könnte. "Die kräftige Buche könnte von Nutzen sein, wenn wir denn Seile dabei hätten", rief er zu Marcin hinüber, der sich auf der anderen Seite ihres Lagerplatzes auf die Suche begeben hatte und winkte ihn heran. "Ich habe den Eingang gefunden", ergänzte er.
Barnuta begab sich zum Esel und begann in den mitgeführten Sachen nach etwas Hilfreichem zu suchen. Ein oder zwei Seile und ein paar Fackeln würden seiner Meinung nach ausreichen, um nicht das gleiche - oder gar ein schlimmeres - Schicksal wie der Kundschafter zu erleiden.
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« Letzte Änderung: August 16, 2009, 13:07:33 von Vomo »
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Wuschel
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« Antworten #63 am: August 16, 2009, 01:35:22 » |
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Marcin reagierte sogleich, und schritt ebenfalls zum Gepäck, das neben dem friedlich grasenden Esel am Boden lag. Gemeinsam entfernten sie das Tuch, daß alles zusammen hielt und förderten einige Dinge zu tage, die eine Expedition in fremde Länder gerechtfertigt hätten: Ein etwa zwanzig Ellen langes Hanfseil, einen Haken, der augenscheinlich eine ganze Kuh halten konnte, eine Blendlaterne, Mehrere Kerzenstummel, Lampenöl, Fackeln, Proviant, eine Zeltplane, eine Zunderbüchse, Wolle... und etwas besonderes, das Marcin Barnuta stolz zeigte: Es war ein zweites Seil, doch war es ungleich dünner und schneeweiß. "Dies hat eine Freundin vom mir gewebt. Es ist nahezu unzerstörbar. Hängt es euch um," sagte Marcin, als er das Seil weiter reichte. Sie teilten die Dinge unter sich auf, wie es Barnuta am sinnvollsten erschien.
Schnell hatten sie das Hanfseil um die Buche geschlungen, und er war bereit für den Abstieg. Er sollte zu erst nach unten steigen doch Marcin würde es sich nicht nehmen lassen, selbst mit hinunter zu gehen. Unten war es dunkel, wo das Licht der Sonne nicht einen kleinen Kreis warf.
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Vomo
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« Antworten #64 am: August 16, 2009, 13:44:37 » |
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Re: Intime: [Dreizehn] Präludium: Barnuta überprüfte noch einmal den Knoten des Hanfseiles und kontrollierte, ob alles, was er für den Abstieg in einen Beutel gepackt hatte, auch sicher verstaut war. Das merkwürdige weiße Seil hängte er sich quer über den Oberkörper auf die Schulter, nachdem er dessen Beschaffenheit geprüft hatte. Marcin hatte Recht - etwas Derartiges hatte Barnuta noch nie gesehen.
Vorsichtig, das Hanfseil fest in den Händen haltend, begann Barnuta mit dem Abstieg. Die Blendlaterne, die er an seinem Gürtel befestigt hatte, erleuchtete zumindest seine nähere Umgebung, so dass es ihm möglich war, für seine Füße jeweils einen sicheren Stand zu finden. Langsam und Stück für Stück bewegte sich Barnuta in den Spalt hinein.
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« Antworten #65 am: August 16, 2009, 17:26:36 » |
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Barnuta fiel das abseilen leichter, als es von oben hatte vermuten lassen. Es bestand bald nicht mehr die Gefahr, sich den Kopf zu stoßen, denn trotz der Dunkelheit bemerkte er, daß sich die Höhle weit öffnete. Und er hörte Tropfen, die ein Echo verursachten, daß die Höhle eine eigene Melodie spielte. Als er ebenen Boden unter den Füßen hatte, waren noch gut zehn Ellen des Seiles übrig. Von unten konnte er Marcins Silhuette erkennen, die sich neugierig über den Schacht beugte. "Alles in Ordnung?!" rief er herunter. "Wie sieht es aus?!" fügte er beinahe ungeduldig hinzu, als Barnuta endlich dazu gekommen war, die Blendlaterne zu entzünden und einen Lichtstrahl in die Dunkelheit zu senden.
Eigentümlich wirkten die Tropfsteine, die ihm zuvor so eindrucksvoll beschrieben worden waren. Tatsächlich wirkten sie wie das, was sie waren: In Äonen langsam geschmolzender Stein. Manche waren weiß, andere schillerten, als der Strahl der Laterne, die sie streifte. Im wesentlichen gab es - durch das Wirrwarr von Tropfsteinen - von seiner Position aus nur einen Weg zu erkennen: Dortentlang, wo das Licht noch keine Wand getroffen hatte.
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Vomo
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« Antworten #66 am: August 16, 2009, 19:33:16 » |
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"Ich bin unten angekommen. Lasst euch Zeit mit dem Abstieg und sucht nach den Stellen, wo ihr sicher stehen könnt. Ich werde versuchen euch von hier unten so gut ich kann zu leuchten und zu dirigieren. Aber im Grunde scheint der Weg sicher."
Barnuta nahm sich nicht die Zeit, sich in dem Anblick der Stalaktiten und Stalagmiten zu verlieren. Doch der kurze Blick, den er schon mal in die Runde werfen konnte, offenbarte Wunderbares. Marcin hatte nicht zu viel versprochen.
Wichtiger war für Barnuta im Moment jedoch der sichere Abstieg seines Begleiters und widmete er sich mit größter Konzentration dieser Aufgabe.
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« Antworten #67 am: August 17, 2009, 20:39:41 » |
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Marcin war behender, als er schien. Leichtfüßg, mit sicherem Stand, hielt er sich am Seil auf Kurs und rutschte auf den Sohlen seiner Sandalen wie ein jugendlicher die Schräge hinunter. Zwei Schritt bevor er in Barnuta hineinzurasen drohte, veringerte er dir Geschwindigkeit und kam vor ihm zum Stehen. Ein verschmitztes lächeln ziehrte sein Gesicht. Sie spannten sicherhaltsahlber den Rest des Seils um einen mächtigen Tropfstein. Marcin entzündete eine Fackel, und sah sich auch erst einmal um. "Dort hinten wird wohl unser Ziel sein...," sagte er, und deutete auf das Dunkel, daß ihr Licht nicht zu durchdringen vermochte. "Seht euch vor, hier könnten Fallen versteckt sein," fügte er hinzu. Zur bestätigung leuchtete er auf den Boden. Ein feiner Draht reflektierte das Licht der Fackel diffus. Leicht hätte man ihn übersehen können. "Achtet auch auf Druckplatten oder seltsame Gerüche." Marcin hob seine Robe hoch, um über den Draht zu steigen. Vorsichtig näherten sie sich dem dunkel. Die elyptische Höhle verjüngte sich genau gegenüber von ihrem Eistieg in einen Gang, und einer von ihnen mußte nun vorgehen.
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Vomo
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« Antworten #68 am: August 17, 2009, 23:34:36 » |
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Der Abstieg Marcins zauberte den Ausdruck von Verwunderung auf Barnutas Gesicht. Für einen Augenblick fragte er sich, ob hier nicht irgendetwas verkehrt war. Marcin sah deutlich älter aus, als er selbst und doch war es Barnuta, der mit einer Vorsicht zu Werke gegangen war die eher einem alten Mann zu Gesicht stehen würde.
Was ihn jedoch für einen Augenblick sprachlos machte, war der Hinweis auf Fallen, der zugleich auch noch mit einem Beispiel untermauert wurde. In dieser beeindruckenden Höhle hatte Barnuta völlig außer Acht gelassen, das sie nicht nur hier waren, um die Wunder der Natur zu bestaunen. Sie waren auf einer Suche. Und wenn hier jemand etwas versteckt - oder auch nur hinterlegt - hatte, so würde dieser Jemand auch sicherlich dafür Sorge getragen haben, dass diese Kostbarkeit nicht so leicht von Unbefugten gefunden und mitgenommen werden konnte.
Barnuta rief sich innerlich zur Aufmerksamkeit und achtete nun um so mehr auf jeden seiner Schritte.
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Wuschel
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« Antworten #69 am: August 22, 2009, 19:52:49 » |
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Konzentriert folgten sie der Verjüngung der Höhle, die zu einem Gang wurde. Tatsächlich bemerkte Barnuta einen weiteren feinen Draht, der quer gespannt war. Dann passierten sie einen niedrigen Durchgang. Über ihm befand sich eine aushöhlung, in der ein großer Stein ruhte, den unvorsichtige mit einen hängenbleiben am Draht sicher herunterollen würde. Erst da fiel ihnen auf, daß einige Kalksteine in seiner Bahn abgebrochen worden waren. Hinter dem niedrigen Durchgang tat sich eine weitere große Höhle auf, die von ihrem Standpunt aus unübersichtlich war. Zumindest schien es zunächst so. Nach wenigen Schritten klaffte ein Abgrund vor ihnen auf. Es gab keinen Weg darum herum. Kalt weht eine Luftzug von unten herauf. Er trug den Geruch von Verwesung mit sich. Marcin beugte sich über den Rand. "Ich hatte so etwas befürchtet...," murmelte er. Er kramte einen Kiemspan hervor und entzündete ihn an der Fackel, hielt ihn einem Moment über den Abgrund, und ließ dann los. Der brennende Span flog an einer Felsigen senkrechten Wand hinab. Barnuta schätzte die Strecke auf zehn bis fünfzehn Ellen. "Hmmm...,"machte Marcin nur, und sah sich um. "Laßt uns einem Moment überlegen," sagte er einfach, und steckte die Fackel in einen kleinen Geröllhaufen. Er setzte sich, ließ nachdenklich die Beine über den Rand baumeln. In der nun nicht mehr ganz so bedrohlichen Tiefe erlosch die kleine Flamme des Kiemspans. "Barnuta...," begann er, "Jetzt, wo wir kurz vor dem Ziel sind, fühle ich mich verpflichtet, mich euch zu offenbaren. Spürt ihr es nicht auch? Das Verrinnen der Zeit? Die Veränderung, die unaufhaltsam näher rückt?"
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« Letzte Änderung: September 07, 2009, 15:57:40 von Wuschel »
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Vomo
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« Antworten #70 am: August 24, 2009, 22:59:28 » |
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Am Abgrund stehend versuchte Barnuta zu sehen, ob ein Weg auf der anderen Seite weiterführen würde, doch konnte er selbst mit der Blendlaterne keinen gangbaren Pfad entdecken. Wenn es also weiter ging, dann führte der Weg tatsächlich in den Abyss. Marcins pragmatischer Test mit dem Kienspan bestätigte seine Vermutung. So machte sich der Westslave dran, eine Möglichkeit zu finden, das Seil zu befestigen, um damit den weiteren Abstieg abzusichern. Der Geruch, der aus dem Abgrund aufstieg weckte Ekel in ihm und kurz überlegte er, ob dieser Geruch von gescheiterten Abenteurern herrührte oder ob es eine weitere Abschreckungsmaßnahme gegen Eindringlinge war um letztendlich zu dem Schluss zu kommen, dass vielleicht sogar beides hier zutraf.
Die Pause, die Marcin jedoch so plötzlich einlegte, um mit ihm ein paar Worte zu Wechseln überraschten Barnuta noch mehr, als die Tatsache, dass es in dieser Höhle tödliche Fallen gab. Langsam wandte er sich zu Marcin um. "Ihr wollt euch mir offenbaren? Was meint ihr damit?" Die Verwunderung musste ihm selbst in dieser spärlichen Bedeutung anzusehen gewesen sein. Ich dachte, wir sind auf einer Suche? Kalter Schweiß trat Barnuta auf Stirn und Rücken. War das eine Falle? Und wenn ja, was sollte dann dieses tagelange Versteckspiel, dass Marcin dann mit ihm getrieben hatte?
Unsicher, wie er auf die letzten Fragen seines Begleiters antworten sollte, zögerte er etwas, bevor er sich selbst eingestand, ehrlich darauf antworten zu wollen. "Nein, ich spüre keine nahende Veränderung. Wovon redet ihr?"
Egal was nun kommen würde, Barnuta zwang sich selbst dazu ruhig zu bleiben und nahm neben seinem Begleiter Platz. Äußerlich gelassen war er zwar Willens, seine Aufmerksamkeit Marcin zu schenken, doch war diese geteilt. Innerlich war Barnuta bereit, auf jedes Anzeichen einer drohenden Gefahr zu reagieren.
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« Letzte Änderung: September 03, 2009, 19:00:03 von Vomo »
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Wuschel
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« Antworten #71 am: September 17, 2009, 18:59:33 » |
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Marcin seufzte. "Es ist gegen meine Natur, unaufrichtig zu sein... ich pflege nicht zu lügen, und das habe ich bis jetzt auch nicht," begann er, "jedoch habe ich euch auch nicht alles gesagt..." Es schien ihm schwer zu fallen, die richtigen Worte zu finden, denn genau wie Barnuta schien er vor irgendetwas Angst zu haben. Er holte tief Luft. "Ich ziehe schon länger durch die Lande, als ich bisher zugab. Meine Reise dauert schon mein ganzes Leben an, und ich spüre, hier ist das Ziel. Damit ist es für mich Zeit, einen Erben zu bestimmen, ihm all mein Wissen zu übergeben, damit ich endlich in Frieden ruhen kann." Seine Stimme wurde leiser und sanfter. Er hob den Blick und sah ihn an. Barnuta erkannte zwei Dinge in den Seinen: unerklärliches Leid und... Frieden. "Ich bin selbst ein Nachfahre dessen, dem ich folge. Ich bin ein Nachfahre Saulots, des Sanften. Mit anderen Worten: Ein Kainskind. Doch im Gegensatz zu vielen anderen, bin ich meinem Gründer auch philosphisch gefolgt. Ich habe die Erleuchtung erlangt, und habe den Fluch abgeworfen. Ich bin bereit zu gehen." In einer kindlichen Geste ergriff er Barnutas Hand. "Ich kann und darf mein Wissen nicht mit ins Grab nehmen. Deshalb habe ich euch ausgewählt."
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Vomo
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« Antworten #72 am: September 30, 2009, 22:36:21 » |
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"... damit ich endlich in Frieden ruhen kann", echote es in Barnutas Kopf und es dauerte einige Sekunden bevor er realisierte, was Frederic Marcin im soeben gesagt hatte. Entsetzen und Erschütterung durchfuhren seine Glieder, als ihm bewusst wurde, dass sein Begleiter der festen Überzeugung war, dass sein Leben bald enden würde und ihm diese Tatsache auch unabänderlich erschien. Offenbar schien er sich sogar darauf zu freuen, oder das Ende zumindest herbeizusehnen. Niemals hätte Barnuta das von Marcin erwartet!
Doch die nächste Offenbarung Marcins traf den Westslawen noch härter. Wie ein Vorschlaghammer trafen ihn die Worte, die er ohnehin schon wie durch Watte wahrgenommen hatte. Marcin war ein Kainskind! Hätte er nicht schon gesessen, hätte er spätestens jetzt jeglichen Halt verloren. War all das, was er von Marcin über die Nachfahren Kains erfahren hatte tatsächlich wahr? Seine Knie waren weich und sein Fluchtreflex sandte Befehle an seine Beine, die darauf jedoch nicht reagieren konnten. Barnuta wollte aufspringen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Er spürte seine Ohnmacht, und seine Wut, ihr ausgeliefert zu sein. Und noch nicht einmal seiner Wut konnte er Ausdruck verleihen. Seine Stimme versagte ihm ebenfalls den Dienst und er brachte nur ein Krächzen zustande. Niemals hatte er mit einer solchen Nachricht rechnen können und nicht auf der Welt hätte ihn schonend darauf vorbereiten können.
Dann spürte er die Hand Marcins, die seine eigene ergriff. Und so merkwürdig es war, und so weit wie er jetzt von diesem Menschen - Menschen? - entfernt sein wollte, gab ihm diese Berührung Halt. Und mit der Berührung verschwand auch der Drang, diesen Ort und Marcin sofort zu verlassen. Dafür sickerten nun langsam die Wortfetzen in Barnutas Bewusstsein, die in der Aufregung völlig verloren gegangen waren. Den Fluch abgeworfen. Erleuchtung erlangt. Ausgewählt.
Immer noch war Barnuta von den Worten Marcins geschockt, doch zumindest hatte er wieder die Kontrolle über seine Stimme. "Erklärt euch", herrschte er seinen Begleiter an, "auf der Stelle!"
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Wuschel
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« Antworten #73 am: Oktober 01, 2009, 23:39:08 » |
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Etwas verzweifeltes mischte sich in des Alten Blick: "Verdammt mich nicht, Barnuta. Um euer Vertrauen zu Gewinnen, werde ich euch meinen Wahren Namen verraten. Ich habe ihn seit gut eintausenfünfhundert jahren nicht mehr ausgesprochen," fügte er betont hinzu. Marcin stand auf und streckte beide Arme aus. "Ich bin Rachamiel! Ich zähle zum Clan Salubri!" rief er. Seine Stimme pflanzte sich in einem Echo durch die Höhle fort. Das Alter fiel von ihm ab, als würde es einfach weggewischt. Die Haut zog sich glatt, das grau aus dem Haar verschwand und wich einer hellbraunen Mähne. Er strich sein Stirnhaar beiseite. Das, was Barnuta die ganze Zeit für eine tiefe Falte gehalten haben mußte, entpuppte sich als waagrechtes Drittes wimpernloses Auge, daß sich langsam öffnete. Die Iris hatte die gleiche Farbe wie die anderen beiden Augen: Rehbraun. "Ich bin einer der dreizehn Wächter des Wissens! Ich hüte die Geheimnisse unseres Clansgründers!" , übertönte seine nun kraftvolle und reine Stimme jedes Tropfen, sogar das Rauschen des Blutes in Barnutas Ohren. Seine Kleidung veränderte sich, und wich einer strahlend weißen Robe, ohne Schmuck. Je weiter sich dieses Auge öffnete, desto... wärmer wurde Barnuta. Es war nicht sein Körper, der sich erhitzte, vielmehr sein Herz, das ihm aufging, wie von einer fremden Macht bestimmt. Tränen rannen von selbst über seine Wangen. Die Güte, die Herrlichkeit, die Liebe, die von dieser engelsgleichen Gestalt ausging, die zuvor noch ein einfacher alter Mann gewesen war, überwältigte ihn einfach, daß er sich kaum fassen konnte. Sein Innerstes hätte sich am liebsten diesem Wesen zu Füßen geworfen.
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Vomo
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« Antworten #74 am: Oktober 05, 2009, 21:51:08 » |
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Die letzten Zweifel an den Worten dieses wunderbaren Geschöpfes verschwanden mit der Verwandlung des selbigen. Fast schon körperlich spürte Barnuta die Trauer, die ihn erfasste, als Marcin - nein, Rachamiel seine Hand losließ. Frederik Marcin hatte in dem Augenblick zu existieren aufgehört, als Rachamiel sich dazu entschlossen hatte, Barnuta sein wahres Wesen zu enthüllen.
Alles ist wahr! Für mehrere Augenblicke beherrschte nur dieser eine Gedanke Barnutas Welt, als er in das dritte Auge seines Begleiters sah und ihn ein wohliges Gefühl von Frieden erfüllte. Es ist unglaublich! Die Kainskinder - der Clan Salubri - Saulot, der Sanfte - der Fluch Kains. All das existiert! Vielleicht in einer eigenen Welt, unbemerkt von den Menschen - aber diese düstere Welt existiert und Rachamiel ist der sichtbare Beweis dafür.
Rachamiel verdammen? Dieser Gedanke wäre Barnuta nie im Leben gekommen. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte er einen Frieden, welcher ihm eine Idee von Heimat vermittelte. Um nichts auf der Welt hätte Barnuta von der Seite dieses wundervollen Wesens weichen wollen. Doch als ihm dies bewusst wurde, realisierte der Westslave, was Rachamiel von seinem Ende gesprochen hatte und plötzlich setzte die Erinnerung an das zuvor Gesagte wieder ein. Ein Kainskind. Das erklärt so einiges ... Die gute Kondition, das große Geschick, die Schnelligkeit mit der er nach dem Überbringen der Einladung verschwunden ist. Doch wie kann es sein, dass ihm die Sonne nichts anhaben kann? Hatte er nicht selbst erklärt, das Licht der lebensspendenden Sonne wäre für Kainskinder tödlich? Konnte es tatsächlich den Kainskindern gelingen, den Fluch abzuwerfen?
Für Barnuta ergab nun einiges Sinn, doch verstand er bei Weitem noch nicht alles. Für mehrere Augenblicke kämpfte Barnuta mit sich selbst, befürchtete er doch, diesen Moment des Friedens und der Glückseligkeit allein dadurch zu zerstören, dass er Rachamiel nur ansprach. Doch die Fragen brannten ihm auf der Seele und so sprach er sie aus. "Welche Erleuchtung habt ihr gefunden, die es euch erlaubt, einen Fluch zu brechen und euren Frieden im Tod zu suchen? Und was meint ihr damit, mich ausgewählt zu haben? Was ist ein Wächter des Wissens? Und wie wollt ihr es fertigbringen, mir all das Wissen zu vermitteln, welches ihr in" - Barnuta schauderte, als er das Wort aussprach, da es für ihn immer noch unwirklich klang - "Jahrtausenden erlangt habt."
Noch immer verwirrte den Westslaven, dass die Aussicht auf sein Ende Rachamiel in den Zwiespalt der Gefühle zwischen Frieden und Leid stürzte.
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