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Autor Thema: Intime: [Wraith 2001] Präludium: Marie  (Gelesen 44551 mal)
medusas child
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« Antworten #45 am: Dezember 20, 2007, 10:23:32 »

Wieder folgt ein "...ähm.." und ein Stocken, das auf Vesna zu recht den Eindruck machen könnte, sie habe es mit einem eher debilen Gesprächspartner zu tun, dessen geistiges Niveau dem eines Knäckebrots gleich kommt.

Immernoch verwirrt und unsicher beginnt Marie aber schließlich vor sich her zu stammeln: "Ja... also... das verwirrt mich schon... irgendwie. ... Wie ... also... warum... kommst du denn auf die Idee... also... das gerade ich da mitkommen soll? Du... du hast doch sicherlich einen Freund... oder eine gute Freundin, die viel lieber... ähm... also, die du viel lieber dabei haben würdest... so Karten für so Veranstaltungen sind doch recht teuer... also, du solltest echt jemanden mitnehmen, den du... ähm... wirklich magst... meine ich."

Marie schluckt erneut. Innerlich verzweifelt sie daran, dass es noch keine Anrufbeantworter gibt, die in der Lage sind auch Einkaufen zu gehen. Dann wäre ihr diese höchst peinliche Situation nämlich erspart geblieben. Vor ihrem inneren Auge sieht sie den Ausgang der Situation bereits kommen: Sie würde es nicht schaffen, Vesna zu sagen, dass sie sogar einen schmerzhaften Lippenherpes dieser Veranstaltung mit vielen dutzend wenn nicht gar hunderten von Menschen vorziehen würde... was wohl letztendlich dazu führen wird, dass sie mit Vesna - einer in ihren Augen über die Maßen seltsamen Person - zu dieser widerwärtigen Gala gehen wird.
Marie verzweifelt...
« Letzte Änderung: April 06, 2008, 11:09:33 von medusas child » Gespeichert
Shilindra
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« Antworten #46 am: Dezember 20, 2007, 10:23:55 »

Vesna lächelt Marie verständnisvoll an.

"Ich habe keinen Freund, weil ich mich nicht Männer hingezogen fühle, ich dachte bei dir wäre es ähnlich..." sie stockt mitten im satz.

Schliesslich seufzt sie.

"Entschuldigung, ich war wohl etwas voreilig... wenn es dir unangenehm ist, werde ich nun gehen. Und dich in Ruhe lassen, keine Sorge ich verstehe es schon. " vesnas Stimme klingt schwer und anangenehm traurig. Ein letzter Blick geht zu Marie.

"Bis bald..."
« Letzte Änderung: Februar 28, 2008, 20:26:29 von medusas child » Gespeichert

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medusas child
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« Antworten #47 am: Dezember 20, 2007, 10:24:16 »

Marie starrt Vesna mit großen Augen an. Ihr Mund öffnet sich, um etwas zu sagen, aber ihr fehlen die Worte.

Angestrengt versucht sie, Worte zu finden und zu Sätzen zusammenzusetzen, die Vesna nicht verletzen würden. Schließlich, so denkt sie, ist ja nichts dabei. Marie war nicht konservativ genug eingestellt um daran etwas Schlimmes oder Verwerfliches zu sehen. Und außerdem... hab ich es mir eh schon gedacht..
(Allerdings scheint Marie - ohne es selbst zu merken - zu konservativ zu sein, um in ihren Gedanken die Worte "lesbisch" oder gar "homosexuell" zu verwenden.)

Ihr offenstehender Mund verleiht ihrem Gesichtsausdruck etwas debiles. Aber auch wenn sie nicht in der Lage ist, ihre Gedanken zu einer Aussage zu ordnen, die in ihren Augen angemessen ist, will sie Vesna nicht so gehen lassen.
Marie weiß, dass sie Vesna gekränkt hat. Und eigentlich wollte sie alles andere als das. Für einen Moment huscht der Gedanke "Hätte ich mich doch niemals darauf eingelassen..." durch ihren Kopf. Dann streckt sie ihre Hand aus, um Vesnas Unterarm zu ergreifen und sie so daran zu hindern zu gehen.

Sie schluckt.
Einen Moment braucht sie noch... sowohl um ihre Augen dazu zu zwingen, Vesna ins Gesicht zu sehen - ständig erhebt das schlechte Gewissen und die Scham, dieses Mädchen so verletzt zu haben, nur weil sie sich wie ein dämlicher Trampel aufgeführt hat, Einwände sie direkt anzuschauen - und um endlich die richtigen Worte zu finden, um sich so glimpflich wie möglich aus der Affäre zu ziehen.

Dann schließt sie den Mund um den finalen Versuch zu unternehmen, etwas zu sagen. Wenn sie es jetzt nicht schafft, dann wohl nie... Ihr Herz schlägt bis zum Hals.

"Aber... aber... ich bin doch viel zu alt für dich."
« Letzte Änderung: Februar 28, 2008, 20:28:11 von medusas child » Gespeichert
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Steinbock


« Antworten #48 am: Dezember 20, 2007, 10:24:35 »

Als Marie Vesna am Arm festhält, bleibt sie stehen vollkommen reglos und schaut zu ihr hinunter.

Es scheint als ob diese Szene eine Ewigkeit dauern würde: Marie wie sie ihre Worte langsam hört, das Essen halb weggeräumt und über allem liegt die restlich Hitze des Tages.

Schier endlos scheint die Stille zu sein als sie jäh durch Vesnas Worte unterbrochen wird

"Zu Alt? Wie kommst du denn darauf?" ein sanftes flüchtiges Lächeln sieht man über ihr Lippen huschen.Obwohl Vesna sich zum Gehen aufgerafft hatte, bleibt sie regungslos stehen. Fast regungslos, mit der anderen Hand stellt sie den Korb ab, um Maries Hand flüchtig zu berühren.
« Letzte Änderung: Februar 28, 2008, 20:28:28 von medusas child » Gespeichert

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medusas child
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« Antworten #49 am: Januar 10, 2008, 14:05:03 »

Maries Hände sind kalt und feucht. Ein lauter, kreischender Sturm tobt in ihrem Inneren. Sie fühlt sich in die Enge getrieben.

"Ich... ich... ...bin doch mindestens" Sie versucht noch einmal vergeblich Vesnas genaues Alter einzuschätzen "...zehn Jahre älter als du!"

Ihr wird klar, dass sie keine Möglichkeit findet, aus dieser unangenehmen Situation zu entkommen.
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« Antworten #50 am: Februar 17, 2008, 16:00:34 »

Vesna starrt Marie scheinbar fassungslos an. Sie murmelt

"Zu alt?" eher fragend. Schliesslich sieht sie zu Marie, nachdenklich.
" Was sind schon zehn Jahre? Ausserdem wären es höchstens fünf Jahre, die uns trennen. Macht dir das Alter was aus, oder etwas anderes? Wovor hast du Angst? "

Vesna kniet sich vor Marie um ihr von unten in die Uagen sehen zu können.

"Wovor?" flüstert sie leise
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« Antworten #51 am: April 01, 2008, 21:42:47 »

"Wovor hast du Angst?" sind die Worte, die durch Maries Kopf hallen wie durch eine riesige, furchteinflößende gothische Kathedrale. Sie hat das Gefühl, ihre verkrampften Glieder erschaudern zu spüren.
Formlose, nebelhafte Erinnerungsschemen tanzen szintillierend vor den Gedanken herum, die sie zu fassen versucht, und betäuben ihren schweren Kopf.
Langsam setzt ihr Körper einen Schritt zurück, während ihre Augen den Fokus verlieren und ihr Blick in nicht vorhandene Weiten abdriftet.

Dieser Tag war einfach zu viel. Zu viel Hitze. Zu viele Stimmen. Zu viel Vesna. Es hat einfach zu viel von Maries schwachen Nerven gekostet. Sie sinkt gegen die Wand hinter sich, der Kopf fällt in den Nacken, der Blick heftet sich an die Decke.

Watte... wie in Watte gepackt. Alles so dumpf. Sie schweigt. Sie steht regungslos.

Der erste wohl formulierte Gedanke, der ihr wieder greifbar durch den Kopf geht, ist: Oh my fucking god!
Aber anstatt dies auszusprechen, hört sie sich sagen: "Wann war noch einmal die Gala?"

Ihr Blick verweilt an der Decke, da ihr Gehirn noch lange nicht empfangen hat, was sie gerade gesagt hat - oder es die Annahme verweigert hat?
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« Antworten #52 am: Juli 24, 2008, 23:40:16 »

Der watteartige Zustand der Maries Sinne gefangen nahm, hielt noch so lange an, bis die Tür hinter Vesna ins Schloss fiel und Marie das Klimpern der kleinen Kette hörte, die in der Messingschiene am Türrahmen einhakte. Marie hätte wirklich nicht mehr sagen können, was in der Zwischenzeit passierte, was Vesna gesagt und wie sie selbst darauf reagiert hat... alles war weg. Weit weg in einem fernen Traum am Ende der Zeit.

...

Das helle Geräusch der dünnen Metallkette weckt Marie aus ihrem hypnotisierten Zustand. Zu Begreifen, wozu sie ihr Einverständnis gegeben hat, lässt ihr Herz erneut in spastischen Zuckungen einen wilden Veitstanz aufführen. Nach Luft schnappend spürt sie, wie die Kälte der Angst langsam an ihren Gliedern entlang kriecht. Und als die Panik vor dem nächsten Abend ihr den finalen Schauer über den Rücken jagt und sie das Zittern ihrer Hände erblickt, rennt sie los. Ein kurzer Sprint, wenige Meter, einige Schritte. Nur ins Bett. Mehr nicht.

Die Bettdecke sinkt über ihrem Kopf hinab, als sie die Arme um die Knie schlingt und nur ein einziger Satz formt sich immer wieder und wieder stumm in ihren Gedanken: Ich will nach hause... ... ...ich will nach hause... ...ich will NACH HAUSE. Regungslos liegt sie dort. Darauf bedacht, sich nicht zu rühren, keinen Laut von sich zu geben, sich nicht zu verraten. Ein kleines Häufchen im dunklen Zimmer unter der dunklen Bettdecke. Langsam beruhigt sich der Herzschlag wieder. Ihre Atmung wird immer ruhiger... Ihr ist speiübel!

...ich will nach hause...

Sie traut sich nicht aufzustehen. Das Ziel heißt: nicht bewegen. Bloß kein Lebenszeichen von sich geben. Am besten gar nicht mehr zu dieser Welt gehören. Sich einfach abnabeln und nicht mehr da sein.

...ich will nach hause...

Unter der Bettdecke wird es warm. Die Luft ist stickig. Zuwenig Sauerstoff. Und das Atmen wird schwerer. Es verlangt nun einen Teil ihrer Aufmerksamkeit. Die Konzentration auf das leise Säuseln ihres Atems, schiebt das ewige Mantra des kleinen Kindes in ihr in den Hintergrund: ...ich will nach hause... ... ...aber wo ist NACH HAUSE überhaupt?

Marie beginnt zu schluchzen. Laut und ungehemmt. Mit offenem Mund und zusammengekniffenen Augen bricht es wie eine tosende Sturmflut aus ihr heraus. Und die Tränen fließen ihre Wangen hinab, um trommelnd auf dem Bettlaken zu zerplatzen.

Irgendwann – nach vielen Tränen – holt die Erschöpfung des heißen Tages sie ein und die geschwollenen und schweren Lider fallen zu, ohne dass sie sich dagegen wehren könnte. Doch, wozu wehren? Im Schlaf ist alles wieder gut.


[Am nächsten Morgen]

Als Marie langsam wach wird, stellt sie fest, dass ihre Augen noch immer geschwollen und schwer sind. Sie will sich gar nicht aus dem Bett quälen. Erst nach einer Ewigkeit, als es unter der Decke zu warm wird, schält sich das viel zu warme, klebrige Teil von sich herunter. Die gleißenden Strahlen der Sonne, die durch das Fenster in den Raum fallen, stechen in ihren Augen.

Ganz langsam regt sie sich. Was ein Abend! ... Was eine verdammte Scheiße! Worauf habe ich mich da eingelassen?

Marie setzt sich auf die Bettkante und reibt sich die Augen. Jetzt brennen sie noch mehr.
Mit zugekniffenen Augen steht sie auf und tastet sich ins Badezimmer, dreht den Hahn am Waschbecken auf und klatscht sich einige Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht. Dann öffnet sie wieder die Augen. Es brennt nicht mehr so stark.

Träge entledigt sie sich ihrer Kleidung und steigt in die Dusche. Die Ringe des Duschvorhangs klappern laut und unrhythmisch, als sie diesen hinter sich zuzieht. Heißes Wasser. Nein, doch lieber etwas kälter. Die hoch am Himmel stehende Mittagssonne hatte ihr Appartement schon zu genüge aufgeheizt. Da ist eine heiße Dusche ganz eindeutig der letzte Wunsch auf ihrer langen Wunschliste. Ganz oben stand: Dieser Abend soll so schnell wie möglich vorüber gehen. ...Nein! Noch viel besser: Heute nachmittag soll die Welt untergehen und ich mit ihr!

Nach einer ausgiebigen Dusche beginnt Marie mit dem Unausweichlichen. Sie dreht ihre langen roten Haare Strähne für Strähne auf große Wickler auf. Wie ich das hasse! Und wofür das Ganze? Irgendwann in den vergangenen Minuten hatte sie resigniert und die Gegenwehr aufgegeben.


Nur mit einem flauschigen Morgenmantel bekleidet und mit einem großen Pott Kaffee vor sich, beginnt sie wenige Minuten später ihr Tagwerk. Das nächste Kapitel des James-Stuart-Manuskripts zu korrigieren, war eigentlich ein Kinderspiel. Reine Routinearbeit. Da fehlt ein Komma... Den Namen schreibt man groß... mit r... da fehlt ein Punkt... ohne e.. Und wie im Flug verstreichen die nächsten Stunden, ohne dass Marie auch nur einen großartigen, echten Gedanken fasst.

Irgendwann bemerkt sie den Schatten, der langsam von ihrer Schreibtischkante an, über den Stiftebecher kriecht, über die alte Schreibmaschine – eine IBM 72, die jedes Mal, wenn man sie anwarf, Geräusche von sich gab, als würde zum Jüngsten Gericht geblasen – und über den kleinen Wecker... Urplötzlich, wie eine Ohrfeige, reißt es sie aus ihrer Arbeitsroutine: Es ist 17.15 Uhr.

Verdammt!

Sie weiß zwar nicht mehr, was Vesna gesagt hatte, wann sie sie abholen würde... Aber ewig hatte sie nicht mehr Zeit. Und sie hatte noch nicht einmal geschaut, was sie anziehen wollte. Hurtig springt sie von ihrem Stuhl auf, wobei das Lösen ihrer nackten Oberschenkelhaut vom Leder ein wirklich widerliches Geräusch erzeugt. Ein Blick durch den Raum. Der Kleiderschrank! Zwei Schritte. Tür auf.

Das Schwarze? Das Rote? Hmmm?...

Marie zieht einen Kleiderbügel, an dem ein kurzes schwarzes Kleid mit dünnen Trägern hängt. Klassisch. Marie gefällt der Gedanke, in diesem schlichten Klischee des Kleinen Schwarzen aufzutauchen. Sie dreht sich um, um den großen Spiegel im Blick zu haben und hält das Kleid an. Damit sehe ich aus wie eine Wasserleiche! Das Kleine Schwarze fliegt in hohem Bogen auf das Bett.

Marie klaubt den Kleiderbügel aus dem Schrank, an dem ein langes rotes Kleid aus fließender Seide hängt. Das wäre sicherlich auch keine schlechte Alternative. Sie hatte es einst für ein Rendevouz erstanden... zu dem sie dann doch nicht erschienen ist. Aber in dieses Kleid hatte sie sich vom ersten Augenblick verliebt, als sie es in dem großen Second-Hand-Laden an der 43th Street an der Stange hängen sah. Wirklich traumhaft... aber ob ich da noch reinpasse? Es war von Anfang an etwas eng.

Marie streift den Morgenmantel ab und steigt in das Kleid hinein. Voller Zuversicht stellt sie fest, dass es ganz leicht über ihre Hüften gleitet. Mit einiger Anstrengung schafft sie es auch endlich beim dritten Anlauf, den Reißverschluss am Rücken hochzuziehen. Ein Blick in den Spiegel und Oh Gott! Das ist ja viel zu weit! Schlagartig wird ihr bewusst, wie viel sie in den letzten Monaten abgenommen haben musste, seit sie aus Atlanta weggezogen war. Auch wenn sie schon immer ein Einzelgänger gewesen war, die wenigen Freunde, die sie dort hatte, hatten ihr immer Halt gegeben. Doch nun... Vielleicht hat Vesna recht. Es scheint mir wirklich nicht gut zu gehen.

Der Gedanke wird nach hinten geschoben. Jetzt bleibt nur noch eines. Wenn das nicht passt, dann... dann... ...dann mache ich heute Abend einfach die Tür nicht auf! Und Marie ist überzeugt, dass es nicht passen wird. Das letzte Kleid in ihrem Kleiderschrank ist das Kleid, dass sie zu ihrem High-School-Abschlussball getragen hat. Das war nun immerhin eine Ewigkeit her.

Sie kramt zwischen ihren Winterjacken und zieht aus dem letzten Winkel, aus dem dunkelsten Eck ein helles, apricotfarbenes Abendkleid heraus. Der weiche, leichte Stoff raschelt unter ihren Fingern. Eine dünne Lage feinsten Chiffons mit dezentem Blumenmuster schmiegt sich an das Unterkleid und die luftigen Träger flattern hinter dem Kleiderbügel herab. Ich bin mir sicher, da waren mittlerweile die Motten dran, denkt Marie, sich selbstsicher an diesen letzten Hoffnungsschimmer klammernd, der sie davor bewahren könnte, heute Abend auf diese widerliche Gala zu gehen.

Fast schon lustlos steigt sie in das dünne Kleidchen. Ich sollte es auf alle Fälle flicken. Das gibt ein wunderbares Sommerkleid ab, unglaublich angenehm bei diesem heißen Wetter. Ziemlich achtlos streift sie die Träger über. Kein Reißverschluss. Wieder der Blick in den Spiegel. Das passt! Halb erstaunt, halb erschrocken muss Marie feststellen, dass das Kleid sitzt wie angegossen. Der weiche Stoff umspielt ihre schmalen Hüften und der zarte Chiffon flattert im Zug des kleinen Ventilators auf ihrem Schreibtisch.

Hektisch streift sie das Kleid wieder ab und setzt sich auf die Bettkante, um den Stoff auf Löcher oder Macken zu untersuchen. Doch so viel und so oft sie auch jeden Zentimeter Stoff, jede Naht absucht... das Kleid scheint in tadellosem Zustand. Maries Herz beginnt wieder zu pochen. Erneut steht sie auf. Erneut zieht sie das Kleid an. Noch ein Blick in den Spiegel.

So schlimm sieht es gar nicht aus.

Als sie es damals zum Abschlussball getragen hatte, kam es ihr scheußlich vor. Sie hatte sich so geschämt, dass sie den ganzen Abend in der dunklen Ecke neben der Bühne gestanden hatte – dort, wo kein Licht hinfiel und wo keiner der bunten Scheinwerfer sie erfassen konnte – und darauf gehofft hatte, dass der Abend schnell vorbeigeht. Aber er hat schier eine Ewigkeit gedauert.

Jetzt im warmen Licht der langsam nach unten sinkenden Sonne gefällt ihr das Kleid. Wirklich schön. Sie dreht sich ein wenig nach links. Dann ein wenig nach rechts. Ein Lächeln formt sich auf ihren Lippen. ...Sie ist für einen kurzen Moment fast bereit zu denken, dass sie sich gefällt. Doch dieser Gedanke wandert noch vor seiner Geburt auf den Friedhof, auf dem so viele schöne, ungedachte Gedanken ein lautloses Ende gefunden hatten.

Barfuß und in gewohnter Weise leise, fast lautlos, geht sie in ihr Badezimmer. Im grellen Neonlicht der Lampe über dem Spiegel gefällt sie sich überhaupt nicht mehr. Die Wickler aus den Haaren gedreht, wird die Haarspraydose gezückt. Ein Griff in die mittlere Schublade des kleinen Unterschranks unter dem Waschbecken und sie hat ihren Kulturbeutel mit den Schminksachen gefunden. Oh je! Ich habe mich so lange nicht mehr geschminkt, denkt sie. Und ein kleiner gehässiger Folgegedanke erwidert: Du hattest ja auch keinen Grund dazu.

Abdeckstift, Make-up, Puder und noch einmal Puder... und schon ist nichts mehr von ihren Sommersprossen zu sehen. Wirklich bewusst, dass sie auch so fast nicht zu sehen wären, ist sie sich nicht... Lippenstift. Rouge. Lidschatten. Kajal... Marie zittert wieder vor Anspannung. Noch immer ist ihr der Gedanke zuwider, heute Abend unter Menschen zu gehen. Überhaupt heute Abend aus dem Haus zu gehen! ...Eyeliner. Verrutscht!

Wütend dreht Marie den Wasserhahn auf. Wozu das alles eigentlich? Warum soll ich mich zurecht machen? Ich will da doch nicht hin! Ich will da niemanden sehen! Und Marie wäscht alle Farbe wieder ab.

Der nächste Versuch: Ein wenig Puder, ein wenig Wimperntusche, etwas Lidschatten. Fertig! ...Ist mir doch egal, was die sagen!, denkt sie vor sich hin, obwohl das Gegenteil wohl eher der Wahrheit entsprechen würde.

Zum Schluss sucht Marie noch passende Schuhe zusammen. Und dann stellt sie fest, dass sie scheinbar so hektisch zu Werke gegangen ist, dass sie nun nicht mehr weiß, was es noch zu tun gibt. ...Sie macht sich einen Kaffee.

Es ist noch immer Zeit. Sie geht zurück ins Badezimmer und kramt aus dem Spiegelschrank ein Kästchen mit Haarnadeln. Ihre Hände zittern noch immer und als sie fertig ist, hängen noch immer einige Strähnen ihres nun welligen Haares im Nacken lose herab. Ganz zu schweigen von dem Verlust einer Nadel, die ihr während ihren Bemühungen aus den Fingern geglitten ist, im Waschbecken herunter gekullert ist und im Abfluss verschwand, bevor Marie sie wieder einfangen konnte.

Und jetzt ist immer noch Zeit. Marie sitzt auf dem Bett und starrt nervös Löcher in die Luft. Sie wünscht sich so sehr, dass Vesna sie versetzt. So sehr, dass Vesna ihr Interesse nur geheuchelt hat. Dass Vesna sie von vorne bis hinten belogen hat. Dann wäre alles so einfach! ...und dass Vesna einfach nicht auftaucht.

Es ist halb acht, als sie sich wieder an ihren Schreibtisch setzt und ihr Manuskript aus der Schublade holt. Viel zu lang hat sie nicht mehr daran gearbeitet. Aber in der letzten Zeit will es einfach nicht mehr. Dabei ist es ihr doch so wichtig.

Seit Tagen hat sie kein einziges Wort mehr darunter geschrieben.

Vielleicht einfach mal dieses eine Blatt weglegen. Ich kann es wahrscheinlich einfach nicht mehr sehen, denkt sie hoffnungsvoll.

Sie wirft die Schreibmaschine an. Ein dröhnendes Brummen erfüllt den Raum. Und nun noch einen neuen Bogen weißen Schreibmaschinenpapiers eingespannt. Jetzt kann es losgehen!

Doch sie sitzt da. Und kein einziges Wort findet den Weg aus ihrem Kopf über die Tasten auf das Blatt. Die Haarnadeln pieken entsetzlich und ihr ist so verdammt warm. Warum kann der Hausmeister nicht ein einziges Mal seinen Job machen und die Klimaanlage endlich reparieren?

...

Viel Zeit vergeht, bis es dann doch noch an der Tür klingelt. Ein schlichtes NEIN! schießt Marie durch den Kopf...

...und dann ist die Watte wieder da. Nur diesmal fühlt sie sich zäh und klebrig an, wie ein warm gewordener Marshmallow. Ein rosa Marshmallow.

...

Das Letzte, an das sich Marie erinnern kann ist, dass sie zögernd und ängstlich im Flur stand und das kleine Knöpfchen angestarrt hat, das unten im Hausflur die Tür öffnet.

Nun hört sie Motorengeräusch...
« Letzte Änderung: Juli 24, 2008, 23:59:55 von medusas child » Gespeichert
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« Antworten #53 am: Juli 25, 2008, 08:34:56 »

Die Strassen in New York sind ein Alptraum. Trotz der drückenden Hitze und dem bereits ausgelösten Smog-Alarm sind sie zum Bersten gefüllt. Fast wie zu viele Ameisen in den engen Gängen eines Ameisenbaus. Scheinbar endlose Stunden qualvoller Autofahrt, bis endlich das Ziel in Sicht ist. In einer kleinen Seitenstrasse, irgendwo an der Grenze zu Kings gelegen, an einem alten, heruntergekommenen Hafen.
Nur Bauzähne und Kräne sind zu erkennen, die wie Gerippe alter Fabelwesen in den bewölkten Himmel ragen. Der Beton aufgerissen wie von Klauen. Doch ist am Hafen in einem Führerhäuschen eines alten Entladekrans immer wieder ein schwaches Leuchten zu erkennen...

Vor dir steht ein altes Hotel im Art-Deco-Stil. Wie alle anderen Gebäude auch, ist dieses in wenigen Tagen dem Tode geweiht. Es wird nichts zurückbleiben außer Staub, Beton und Stahl. Und vielleicht der letzte Seufzer an eine Erinnerung aus glücklichen, prachtvollen und fernen Tagen.

Draußen stehen einige wenige Kerzenleuchter, die das ganze in ein seltsam schummriges Dämmerlicht tauchen.
Der Boden des Hotels ist mit weißem Marmor bekleidet, doch durch das warme Licht, schimmert auch er leicht gelblich, ein wenig wie Wüstensand. Direkt neben dem Eingang befindet sich eine alte Garderobe mit einer Theke aus einem dunklem Kirschholz. Dahinter sind zwei Frauen und ein Mann, in einer schwarz-roten Uniform, mit weißem Hemd zu erkennen, welche unablässig ein Garderobenstück nach dem anderen aufhängen. Ihre Gesichter sind zwar freundlich, doch vergisst man sie schnell wieder.
Die Wände sind mit edlem Stuck und einer Stofftapete umhüllt.
In der Mitte der große Hotellobby hängt ein prachtvoller Kronleuchter, eher schwebend in dem Raum. Fast greifbar...
Vor Kopf sind zwei Relikte aus einer längst vergangen Zeit zu erkennen: Mit holzvertäfelte Aufzüge mit einer altmodischen Etagenanzeige.
Umarmt wird dieser von zwei weit ausladenden Treppen, jede Stufe einzeln verhüllt mit schwerem roten Stoff. Fast fließend. Die Treppen führen hoch in die erste Etage, einst Ort für viele Zimmer mit ihren kleinen und großen, bedeutungslosen und herausragenden Geschichten. Heute entkernt und umgebaut zu einem Saal. Der längst vergessene Parkettboden wurde für diese eine Nacht, aus der Vergessenheit emporgehoben. Der Raum ist länglich, überall stehen einige Tische, links an der Wand ein Buffet und rechts eine Bar. Mittendrin, Bilder, Skulpturen, Video und Lichtinstallationen. Blitzlichter zucken immer wieder durch den Saal. Im Hintergrund, kann man leise Musik vernehmen, ebenso wie die Stimmen, vieler Menschen, was zu einem ohrenbetäubende, leisen und sinnlosem Rauschen von Tönen heranschwillt. Mittendrin stehst du...
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« Antworten #54 am: Juli 25, 2008, 10:41:10 »

[Ein unbekanntes Hotel am Hafen]

Maries Füße machen Halt. Sie bleibt stehten und hält sich am Treppengeländer fest. Ihre Finger klammern sich regelrecht um das abgegriffene Metall. Wieder dieser Schwindel im Kopf. Wieder diese Übelkeit.

Allein der Geruch von vielen fremden Menschen um sie herum, lässt sie halb wahnsinnig werden.

Sie schließt die Augen.

In ihren Ohren dröhnt die leise Musik wie von weiter Ferne zwischen dem Rauschen ihres eigenen Blutes, das alle anderen Geräusche dumpf werden lässt.

Ihre Beine sind weich wie Pudding. Noch immer hat sie keinen Schritt in den Saal hinein gewagt.

...

Einige Minuten steht sie steif wie eine in Stein gemeißelte Statue am Geländer. Die Übelkeit will einfach nicht vorbeigehen. Das Rauschen in den Ohren wird immer lauter. Sie merkt, wie all ihr Blut aus den Gliedern weicht. Kleine weiße Punkte beginnen vor ihren Augen zu tanzen.

Dann wird alles schwarz...

 

« Letzte Änderung: Juli 25, 2008, 14:58:34 von medusas child » Gespeichert
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