@medusa
Ich irre mich vielleicht, doch nach meinem Verständnis würde er wohl erwarten, dass dann die Hölle im klassischen Sinne auf ihn wartet. Weiß er davon, dass er weiter als Vampir auf Erden wandeln würde? Und dass sein Körper nur noch die Hülle für das vampirische Tier in ihm wäre?
Er konnte den Moment des übermannenden Durstes nie vergessen, allein aufgrund seiner eidetischen Fähigkeiten. Die Erinnerung an den Augenblick der Willenlosigkeit und Handlungsunfähigkeit (Raserei) selbst wurde ja permanent durch den ewig präsenten (je nach Situation stärkeren oder schwächeren) Blutdurst wachgehalten. Er wusste also, was passieren würde, wenn er nicht den Tugenden seiner Lehre (oder entsprechend der Via Caeli) folgt. Und er hatte sich ja vorgenommen, nie wieder dieser Willenlosigkeit anheim zu fallen. - in diesem Sinne ist die Antwort "ja"
Aber in deinen konkreten Worten - klassische Hölle, Hülle für das Tier, ewig auf Erden wandeln - "nein". So explizit hat er diese Seite nie betrachtet, und auch nicht so bildhaft. Ich gehe davon aus, dass er sich diese Erkenntnis hätte extrapolieren können, er war normativ vom Wesen her Wissenschaftler - aber konkret so gesagt hat es ihm niemand. Warum nicht? siehe Antwort Teil zwei (unten)
Fakt ist, dass er geistige Stärke, Disziplin und Verzicht als die Mittel kannte, mit denen sich Widrigkeiten aushalten und das eigene Wesen zähmen ließen. Daher auch seine Entscheidung, sich nicht permanent mit Blut zu füllen, sobald er die Gelegenheit dazu hatte. Notwendigkeit und Maß bestimmten seine Haltung gegenüber dem Trinken - immerhin war auch Völlerei eine Sünde. Hierzu gabs im Intime eine oder zwei Szenen, in denen er verzichtete bzw. trank. Auch dieses Verhalten entsprach dem, was er aus seinem Leben als Mönch kannte. Kein Konflikt mit der Via also. "Das Tier im Zaum halten" - so könnte man seinen Ansatz in Bezug aufs Trinken zusammenfassen, also weder maßlos sein, noch sich selbst oder anderen schaden. Diesen Ansatz hätte er wahrscheinlich auch in allen anderen Aspekten des Unlebens verwendet. Er wusste ja, dass es für Kainiten einen Weg gab, beide zufrieden zu stellen, Gott und das Tier im Inneren gleichermaßen (Beispiel: sein Erzeuger) - er wusste nur nicht, wie man das nennt. Er arbeitete mit dem, was er kannte, um dieses Ziel, also die innere Harmonie von Tier und Glauben, zu erreichen
Und was mir noch durch den Kopf spukt: Weiß er, dass es auch noch andere Wege der Erleuchtung gibt? Wenn ja, wie steht er dazu?
Definitiv nein, das wusste er nicht. Er war nur ein Kind, entrissen dem Erzeuger, mit einem rudimentären Hauch von Wissen, das kaum gereicht hätte, um ihn standesgemäß in der kainitischen Gesellschaft überleben zu lassen. So gesehen war er zwar Vampir, aber vom Glauben her immer noch "Mensch" - denn den eigentlichen Pfad zu betreten, erfordert ja einen Moment der Erkenntnis. Diesen konkreten Moment gab es für ihn nicht, jedenfalls nicht in seinem kainitischen Dasein. Er tat einfach das, was er als Mensch, als Mönch, als Gläubiger getan hätte. Das Verhaltensschema ist mit dem der Via Caeli deckungsgleich genug, dass es in diesem Fall funktionierte. Und er hatte ja in seinem Erzeuger ein "lebendes Beispiel", dass ein frommer Kainit weiterhin in Gottes Angesicht existieren kann. Diesem Beispiel eiferte er nach. Und auch dass er nochmals 10 Gebote hätte lernen müssen, an denen er sein Leben ausrichtete, hätte ihn wohl nicht irritiert, immerhin gaben ihm solche Leitlinien ja ein festes Orientierungsgefüge. Regeln, Vorschriften, Verbote und Ordnungen gehörten ja mehr noch zum Leben eines Mönchs, als zu dem eines frommen Christen, der nicht in einem Orden lebte.
Ich gehe davon aus, dass er früher oder später von den anderen Pfaden erfahren hätte, spätestens wohl, wenn er offiziell den Moment der Erkenntnis gehabt hätte und ihm die Via Caeli in Worten und Schrift nahegebracht worden wäre (inklusive ihrer 10 Gesetze). Vermutlich dann auch von einem Anhänger der Via, einem kainitischen "Glaubensbruder" eben, und das allein hätte ihn wieder bestärkt, den Weg des Himmels zu beschreiten. Es wäre möglich, dass er in einem Anflug von Selbstgerechtigkeit die "niederen" Wege (Tier, Sünde) als Blendwerk verdammt hätte, und die anderen Wege mit Skepsis oder Billigung betrachtet hätte. So verwurzelt, wie er im Glauben ist, hätten ihn solche "Lügengespinste" wohl nur in der Sicht bestärkt, dass er auf dem einzig wahren Weg wandelte, denn schließlich diente er ja in erster Linie dem Allmächtigen - logisch nur, dass in seiner Weltsicht dann auch die Via Caeli der einzig akzeptable Weg zur Erlösung wäre.
Ich gehe auch davon aus, dass es wohl eine einzige Ausnahme hätte geben können: ein Weg oder Ehrenkodex, der sowohl gottesfürchtig als auch ehrenhaft zugleich ist - aber ob es so eine Via gibt, weiss ich nicht. Falls ja, hätte er den Anhängern dieses Weges (kainitische Kreuzritter? Salubri?) wohl Respekt gezollt, da sie sowohl Gottes Wort achten, als auch ehrenhaft leben. Aber das sind alles nur Theorien.