Margaret Weis - Die Zauberprüfung (Drachenlanze-Saga;
Raistlin-Chroniken Teil 1)
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Broschiertes Taschenbuch
Veröffentlicht im Blanvalet Verlag, München, erschienen im
Goldmann Verlag, München.
510 Seiten
Erscheinungsdatum: Juni 1999
ISBN: 3442249074
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"Die Zauberprüfung" ist der erste Band der Raistlin-Chroniken
und liefert die Vorgeschichte zur Chronik der Drachenlanze, ja sogar die Vorgeschichte
zur ganzen umfassenden Drachenlanze-Saga, möchte ich sagen.
Es werden die jungen Jahre des späteren Zauberers Raistlin Majere erzählt:
Er wird zunächst von dem Erzmagier Antimodes in seiner idyllischen Heimat,
dem Dorf Solace entdeckt. Dieser schreibt Raistlin in der Zauberschule von Meister
Theobold in der Nähe von Solace ein, wo er seine Grundausbildung in den
magischen Künsten erhält.
Obwohl der junge Raistlin die Hauptfigur ist, so wird auch das Leben seines
Zwillingsbruders Caramon und dessen unerschütterliche Liebe zu Raistlin
geschildert, obgleich die beiden doch so grundverschieden sind. Auf der einen
Seite der kräftige Caramon, stark wie ein Bär und trotzdem sanft und
einfühlsam, welcher immer für seinen körperlich schwachen Bruder
Raistlin da ist. Doch kaltherzige, distanziert und introvertierte, oft sarkastische
Raistlin will - oder kann - diese Bruderliebe nicht erwidern und er weist Caramon
zumeist nur kalt ab und konzentriert sich auf sein augenscheinlich einziges
Talent: die Magie.
Diese - seine - Magie zu gebrauchen, erlernt er in der Zauberschule mit großem
Eifer und Ehrgeiz unter dem strengen Lehrer Meister Theobald.
Währenddessen betreten auch anderen künftige Helden der Drachenlanze
die Bühne: Caramons bester Freund Sturm Feuerklinge, der ehrenbedachte
Sohn seines verschollen Vaters, einem Ritter von Solamnia, dessen einziges Ziel
es ist in die Ritterschaft aufgenommen zu werden. Außerdem die intrigante,
machtgierige Schwester der Zwillinge Kitiara, Flint Feuerschmied, der Hügelzwerg,
Tanis, der Halb-Elf, von den Elfen und Menschen verstoßen und Tolpan Barfuß,
der Kender. Die am Anfang noch kameradschaftlich vereinte Gruppe von Freunden
(zu denen Raistlin allerdings nur über Caramon dazugehört, obwohl
dem skurrilen Magier viel Mistrauen entgegengebracht wird) wird bald von harten
Schicksalsschlägen getroffen.
Denn schreckliche Ereignisse stehen der Familie Majere ins Haus: Nicht nur den
Vater der Brüder, auch die Mutter holt der Tod. Die einst so fürsorglich
scheinende Freundin und Pflegerin ihrer geistiggestörten Mutter, die Witwe
Judith zeigt ihr wahres Gesicht und wird von den Kindern davongejagt.
Ein einfacher Ausflug der Gruppe nach Haven wird unerwartet zu ihrem ersten
richtigen Abenteuer. Raistlin möchte mittels seiner mittlerweile rapide
gewachsenen Zaubermächte den sich dort etablierenden neuen Glaubensorden,
welcher den fremden fraglichen Gott Belzor verehrt, des Trugs und der Täuschung
überführen. Eine alte "Freundin" hat sich als Führerin
derselben entpuppt…
Dadurch werden auch die Erzmagier im Turm von Wayreth, ihrem Machtzentrum, auf
den begabten Raistlin aufmerksam...
So bald man die ersten paar Seiten hinter sich gelassen hat, wird man vom
Lesefluss gepackt und kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen bis man nicht
auch die letzten Worte verschlungen hat.
Meiner Auffassung nach ist der Text weder sonderlich anspruchsvoll, noch niveaulos
geschrieben. Das Buch lässt sich ohne viel Anstrengung lesen und dennoch
schafft es Margaret Weis mit treffender, schön ausgeschmückter Sprache
Bilder zu malen und bringt den Leser auch ab und zu durch den Kender Tolpan
zum Lachen.
Trotz der Fremdheit des Charakters Raistlin kann sich der Leser - ich möchte
nicht sagen ‚mit ihm identifizieren' - aber dennoch sehr gut in ihn und
seine Situation hineinversetzen.
Ich habe eigentlich nichts Negatives über das Buch zu sagen, möchte
aber trotzdem darauf hinweisen, dass es von einigen Fans der Drachenlanze abgelehnt
wird, da es - ihrer Meinung nach - Dingen, die für den weiteren Verlauf
und die Entwicklung der Charaktere sehr wichtig sind und erst in späteren
Bänden offenbart werden, vorgreift.
Dies will ich nicht abstreiten, doch sehe ich dies nicht so eng - im Gegenteil
- ich halte "Die Zauberprüfung" sogar für einen sehr guten
Einstieg in die Welt der Drachenlanze!
Fazit: In meinen Augen ein rundum gelungenes Werk! Absolut lesenswert, sowohl
für Neueinsteiger als auch für Kenner! ;-)
Leseprobe:
Der Meister stellte jedem Jungen eine Schreibfeder und ein Tintenfaß hin.
Dann trat er zurück, faltete die Hände vor seinem Bauch und sagte
mit sonorer, feierlicher Stimme: "Auf diese Lammhaut schreibt ihr die Worte:
Ich, Magus"
"Weiter nichts, Meister?", fragte Jon Farnish.
"Weiter nichts."
Gordo wand sich und kaute auf seinem Federkiel herum. "Wie buchstabiert
man ‚Magus'?"
Meister Theobald bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. "Das ist
Teil der Prüfung!"
"Was… was passiert, wenn wir es richtig machen, Meister?", fragte
Raistlin mit einer Stimme die er nicht als die seine erkannte.
"Wenn du die Gabe hast, passiert etwas. Wenn nicht, passiert nichts",
erwiderte Meister Theobald, ohne Raistlin dabei anzusehen.
[…]
Raistlin bereitete sich darauf vor, die Feder in die Tinte zu tauchen. Dann
zögerte er, denn er merkte, wie ihn die Panik übermannen wollte. Alles,
was man ihm gelehrt hatte, schien ihm zu entgleiten, wie Butter, die in einer
heißen Pfanne zerschmolz. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wie man
Magus buchstabierte! Die Feder in seinen schweißnassen Fingern
zitterte. Unter gesenkten Wimpern hervor blinzelte er zu den anderen beiden
hin.
[…]
Raistlin tauchte die Feder in die Tinte und begann, mit scharf gewinkelten,
kühnen, großen Buchstaben zu schreiben: Ich, Magus.
Jon Farnish lehnte sich mit zufriedenem Gesicht zurück. Raistlin, der gerade
fertig geworden war, hörte, wie der Junge nach Luft schnappte, und sah
auf.
Die Buchstaben auf der Schafshaut vor Jon Farnish hatten angefangen zu glühen.
Es war ein leichtes, matt orangerotes Glühen, wie ein frisch geschlagener
Funke, der um sein Leben kämpfte.
"Oh!", stieß Gordo beeindruckt hervor.
"Gut gemacht, Jon", sagte Meister Theobald großspurig.
Rot vor Freude warf Jon Farnish einen erfurchtsvollen Blick auf das Pergament,
dann lachte er. "Ich hab's geschafft!" rief er.
Meister Theobald wandte sich Raistlin zu. Obwohl der Meister versuchte, einen
besorgten Blick aufzusetzen, verzog sich einer seiner Mundwinkel.
Die schwarzen Buchstaben vor Raistlin blieben schwarz.
Raistlin umklammerte die Feder so fest, dass er die Spitze abbrach. Er sah von
dem begeisterten Jon Farnish weg, er achtete nicht auf den verächtlichen
Gordo, er verbrannte den höhnischen Triumph aus seinen Gedanken. Er konzentrierte
sich auf die Buchstaben von Ich, Magus und sprach leise ein Gebet. "Ihr
Götter der Magie, wenn ihr Götter seid und nicht nur Monde, lasst
mich nicht versagen, lasst mich nicht scheitern."
Raistlin wandte sich nach Innen zum Kern seines Wesens, und er schwor sich:
Ich schaffe es. Nichts in meinem Leben zählt mehr als das, kein Augenblick
meines Lebens zählt mehr als dieser. Dies ist der Augenblick meiner Geburt,
und wenn ich versage, ist dies auch der Augenblick meines Todes.
Götter, der Magie, helft mir! Ich werde euch mein Leben weihen. Ich werde
euch immer dienen. Ich werde Ruhm über euren Namen bringen. Helft mir,
bitte, helft mir!
Er wünschte es sich so sehr. Er hatte so hart dafür gearbeitet, so
lange schon. Mit all seiner Energie konzentrierte er sich auf die Magie. Sein
empfindlicher Körper begann unter der Spannung zu leiden. Ihm wurde schwindelig.
Vor seinem benommenen Blick verdreifachte sich die Lichtkugel. Der Boden unter
ihm schien zu schwanken. Verzweifelt legte er seinen Kopf auf den Steintisch.
Kalt und fest lag der Stein unter seiner fieberheißen Wange. Er schloss
die Augen, denn unter seinen Lidern brannten heiße Tränen. Noch immer
sah er die drei Kugeln aus magischem Licht. Sie hatten sich in seine Augenlider
eingeprägt.
Zu seinem Erstaunen sah er plötzlich, das in jeder Kugel jemand steckte.
Die erste Person war ein ansehnlicher junger Mann in einer weißen Robe,
die silbern schimmerte. Er war stark und kräftig und sah aus wie ein Krieger.
In der Hand hielt er einen Holzstab, an dessen Ende eine goldene Drachenklaue
ein Diamant umfasste.
Die zweite Gestalt war ebenfalls ein junger Mann, doch er war nicht schön,
sondern grotesk. Sein Gesicht war rund, wie ein Mond, und seine Augen waren
trockene, dunkle, lehre Brunnen. Er war mit einer schwarzen Robe bekleidet und
hielt eine Kristallkugel in den Händen, in welcher die Köpfe von fünf
Drachen herumwirbelten: rot, grün, blau, weiß und schwarz.
Zwischen diesen beiden stand eine schöne junge Frau. Ihre Haare waren schwarz,
wie ein Krähenflügel und wiesen weiße Strähnen auf. Ihre
Robe war rot, wie Blut. In den Armen hielt sie ein dickes, ledergebundenes Buch.
Die drei Gestalten waren von Grund auf verschieden, ähnelten sich aber
auf seltsame Weise.
"Weißt du, wer wir sind?" fragte der Mann in Weiß.
Raistlin nickte zögernd. Er kannte sie. Er war sich nur nicht ganz sicher,
dass er verstand, wieso und woher. (Es waren die drei Götter der Magie:
Der Gott des Guten Solinari, die neutrale Lunitari und der Gott des Bösen
Nuitari)
[…]
Solinari sagte in strengem Ton: "Du bist sehr jung. Verstehst du, welches
Versprechen du uns gegeben hast? Das Versprechen, uns zu huldigen, und unseren
Namen Ehre zu machen. Wenn du dies tust, wirst du gegen den Glauben vieler Lebender
verstoßen und dich vielleicht in Lebensgefahr bringen."
"Das ist mir klar", antwortete Raistlin ohne zu zögern.
Als nächster sprach Nuitari, mit seiner Stimme wie Eissplitter: "Bist
du bereit, die Opfer zu bringen, die wir abverlangen werden?"
"Ich bin bereit", sagte Raistlin fest.
Lunitaris Lachen tanzte begeistert und beunruhigend zugleich durch Raistlin
hindurch. "Du verstehst es nicht. Und wenn du vorhersehen könntest,
was in der Zukunft von dir verlangt wird, würdest du von hier wegrennen
und nie mehr zurückkommen. Dennoch, wir haben dich beobachtet, und du hast
uns beeindruckt. Wir gewähren dir deine Bitte unter einer Bedingung: Denk
immer daran, dass du uns gesehen und mit uns gesprochen hast. Leugne nie deinen
Glauben an uns, sonst werden wir dich verleugnen."
Die drei Lichtkugeln verschmolzen zu einer, die ganz wie ein Auge mit weißem
Rand, roter Iris und schwarzer Pupille aussah. Das Auge zwinkerte einmal, dann
blieb es weit offen und starrte Raistlin an.
Er sah nur noch die Worte Ich, Magus, schwarz auf der weißen Lammhaut.
"Bist du krank, Raistlin?" Die Stimme des Meisters, wie durch trüben
Nebel.
"Still!", hauchte Raistlin. Wusste der Dummkopf nicht, dass sie hier
waren? Wusste er nicht, dass sie wartend zusahen?
"Ich, Magus", flüsterte Raistlin deutlich hörbar. Schwarz
auf weiß erweckte er sie mit seinem Herzblut zum Leben.
Die schwarzen Buchstaben begannen rot zu leuchten, wie das Schwert im Feuer
der Esse. Die Buchstaben glühten heißer und hell, bis das Ich,
Magus aus den Flammenbuchstaben gebildet wurde. Die Lammhaut wurde schwarz,
rollte sich ein und wurde verzehrt. Schließlich erstarb das Feuer.
Rezension erstellt von Phoenix