Theodor Fontane - Effi Briest
Die siebzehnjährige Effi von Briest heiratet den ehemaligen Verehrer ihrer Mutter und folgt ihm in ein
hinterpommersches Provinzstädtchen. Das Landedelfräulein ist jedoch im Grunde noch immer ein Kind, ein wahrer Kindskopf.
Übermütig und verwegen, die Vorstellungen einer Ehe träumerisch. Doch die Ehe verläuft alles andere als glücklich und als
sie dem jungen Herrn Krampa begegnet beginnt das Drama. Frustriert über den Verlauf der Beziehung, bricht sie mit diesem
bekannten Frauenheld ihre Ehe. Doch der Fehltritt wird Jahre später aufgedeckt und wider besserer Einsicht zollt der
gehörnte Ehemann seiner preußischen Moral ihren Tribut: Der Liebhaber muss in einem Duell gestellt und die so geliebte
Ehefrau verstossen werden. Effi zerbricht an ihren inneren Schuldgefühlen.
"Die arme Effi", wie Theodor Fontane liebevoll und treffend seine berühmte Romanfigur nannte, zählt zu den
eindrucksvollsten Frauengestalten der deutschen Dichtung. Das 1895 erstmals erschienene Buch wurde durch eine
historische Ehe- und Duellaffäre angeregt.
Autorenportrait:
Theodor Fontane (1819 -1898) ist der bedeutendste Erzähler des literarischen Realismus. Der gelernte Apotheker machte
mit 30 Jahren das Schreiben zum Beruf, zunächst als Journalist und Theaterkritiker. Erst spät begann er erfolgreich Romane
und Erzählungen zu schreiben. Seine Romane und Novellen, die vielfach verfilmt wurden, zählen zu den meistgelesenen
Klassikern des 19. Jahrhunderts
Effi Briest ist ein nicht gerade leicht zu lesenes Buch. Doch gewöhnt man sich sehr schnell an die Art, wie Theodor
Fontane schreibt. Zumindest ging es mir persönlich beim ersten Mal so, wo ich ungefähr 3 Anläufe brauchte, um es wirklich
zu lesen.
Die Figur der Effi ist rührend beschrieben, ihre Situation berührt den Leser mitten ins Herz. Theodor Fontane schafft es
meiner Meinung nach sehr gut, den Leser auf die Seite von ihr zu ziehen und macht es sehr gut verständlich, wie sich die
junge Frau fühlt in einer Ehe mit dem Ex-Verehrer ihrer Mutter.
Ich kann das Buch jedem empfehlen, der Sinn und Muse für die "ältere" Literatur hat.
Leseprobe:
In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel
heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park und Gartenseite hin ein rechtwinklig
angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen
hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden
besetzten Rondell warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflügel entsprechend, lief
eine ganz in kleinblättrigem Efeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen weißgestrichenen Eisentür unterbrochene
Kirchhofsmauer, hinter der der Hohen-Cremmener Schindelturm mit seinem blitzenden, weil neuerdings erst wieder vergoldeten
Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes
Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angekettetem Boot und dicht daneben einer Schaukel
gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing die Pfosten der Balkenlage
schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb versteckend standen ein paar mächtige
alte Platanen.
Auch die Front des Herrenhauses eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe gewährte bei bewölktem Himmel
einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde
die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem
im vollen Schatten liegenden Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben
sich eine vorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels
hinaufführten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten
zusammenzusetzenden Altarteppichs galt; ungezählte Wollsträhnen und Seidendocken lagen auf einem großen, runden Tisch
bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunch her, ein paar Dessertteller und eine mit großen schönen Stachelbeeren
gefüllte Majolikaschale. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von
der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um
unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil und Zimmergymnastik durchzumachen. Es
war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe
hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so
sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte,
wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein
blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener
Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem,
was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und
viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die " Kleine" , was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil
die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war.
Eben hatte sich Effi wieder erhoben, um abwechselnd nach links und rechts ihre turnerischen Drehungen zu machen, als die
von ihrer Stickerei gerade wieder aufblickende Mama ihr zurief: " Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreiterin
werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möchtest."
" Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du, von
Papa? Da mußt du nun selber lachen. Und dann, warum steckst du mich in diesen Hänger, in diesen Jungenkittel? Mitunter
denk ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erst wiederhabe, dann knicks ich auch wieder wie ein
Backfisch, und wenn dann die Rathenower herüberkommen, setze ich mich auf Oberst Goetzes Schoß und reite hopp, hopp.
Warum auch nicht? Drei Viertel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher. Du bist schuld. Warum kriege ich keine
Staatskleider? Warum machst du keine Dame aus mir?"
" Möchtest du's ?" " Nein." Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte sie stürmisch und küsste sie.
" Nicht so wild, Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe ... " Und die Mama
schien ernstlich willens, in Äußerung ihrer Sorgen und Ängste fortzufahren. Aber sie kam nicht weit damit, weil in
ebendiesem Augenblick drei junge Mädchen aus der kleinen, in der Kirchhofsmauer angebrachten Eisentür in den Garten
eintraten und einen Kiesweg entlang auf das Rondell und die Sonnenuhr zuschritten. Alle drei grüßten mit ihren
Sonnenschirmen zu Effi herüber und eilten dann auf Frau von Briest zu, um dieser die Hand zu küssen. Diese tat rasch ein
paar Fragen und lud dann die Mädchen ein, ihnen oder doch wenigstens Effi auf eine halbe Stunde Gesellschaft zu leisten.
" Ich habe ohnehin noch zu tun, und junges Volk ist am liebsten unter sich. Gehabt euch wohl." Und dabei stieg sie die
vom Garten in den Seitenflügel führende Steintreppe hinauf.
Und da war nun die Jugend wirklich allein.
Zwei der jungen Mädchen kleine, rundliche Persönchen, zu deren krausem, rotblondem Haar ihre Sommersprossen und ihre gute
Laune ganz vorzüglich passten waren Töchter des auf Hansa, Skandinavien und Fritz Reuter eingeschworenen Kantors Jahnke,
der denn auch, unter Anlehnung an seinen mecklenburgischen Landsmann und Lieblingsdichter und nach dem Vorbilde von Mining
und Lining, seinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer,
Pastor Niemeyers einziges Kind; sie war damenhafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig und eingebildet, eine
lymphatische Blondine, mit etwas vorspringenden, blöden Augen, die trotzdem beständig nach was zu suchen schienen, weshalb
denn auch Klitzing von den Husaren gesagt hatte: " Sieht sie nicht aus, als erwarte sie jeden Augenblick den Engel
Gabriel?" Effi fand, daß der etwas kritische Klitzing nur zu sehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterschied
zwischen den drei Freundinnen zu machen. Am wenigsten war ihr in diesem Augenblick danach zu Sinn, und während sie die
Arme auf den Tisch stemmte, sagte sie: " Diese langweilige Stickerei. Gott sei Dank, daß ihr da seid." " Aber deine Mama
haben wir vertrieben" , sagte Hulda. " Nicht doch. Wie sie euch schon sagte, sie wäre doch gegangen; sie erwartet nämlich
Besuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich euch nachher erzählen muß, eine Liebesgeschichte mit
Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch wundern. Übrigens habe ich Mamas alten Freund
schon drüben in Schwantikow gesehen; er ist Landrat, gute Figur und sehr männlich. "
" Das ist die Hauptsache" , sagte Hertha.
" Freilich ist das die Hauptsache, 'Weiber weiblich, Männer männlich' das ist, wie ihr wisst, einer von Papas
Lieblingssätzen. Und nun helft mir erst Ordnung schaffen auf dem Tisch hier, sonst gibt es wieder eine Strafpredigt."
Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und als alle wieder saßen, sagte Hulda: " Nun aber, Effi, nun ist es Zeit,
nun die Liebesgeschichte mit Entsagung. Oder ist es nicht so schlimm? "
Rezension erstellt von Cassio