Autor: Asne Seierstad
Titel: Der Buchhändler aus Kabul
Verlag: List Verlag (Ullstein Buchverlage GmbH), München
Seitenanzahl: 302
ISBN: 3-548-60430-7
Bestellen bei: AmazonEigentlich ist Sultan Khan Ingenieur, aber er kann von Büchern nicht lassen. Ein Geschäft, das in Afghanistan durchaus seine Tücken hat: Wie treibt man in einem Land ohne Verlage seine Ware auf? Was tun, wenn - bei wechselnden Vorlieben der Regime - wieder einmal verbotene Bücher in Flammen aufgehen? Und woher nimmt man den Esel, mit dem man die Raubdrucke über das Gebirge nach Pakistan schmuggelt?
Die junge Journalistin Asne Seierstad durfte auf Einladung des Familienoberhaupts fünf Monate lang im Hause der Khans wohnen und aus nächster Nähe den Alltag der islamischen Buchhändlerfamilie beobachten. Während dieser Zeit gewann sie einzigartige Einblicke in ein Land, über das wir viel zu wissen glauben, ohne es wirklich zu kennen.Asne Seierstad gibt einen ziemlich authentischen Einblick in das Leben und den Alltag einer typisch afghanischen Familie. Nach und nach geht sie auf jedes Familienmitglied ein und zeigt Afghanistan aus dessen Sicht. Die Ängste und Sorgen der Frauen, die jahrelang in die Rolle der Unterdrückten gedrängt wurden, die Selbstverständlichkeit mit der Männer diejenigen tyrannisieren, die unter ihnen stehen, sind für die westliche Welt manchmal unbegreiflich. Und dennoch lernt man, diese fremde Lebenseinstellung teilweise zu verstehen. Wer sich für fremde Welten und andere Kulturen interessiert oder sich schon lange gefragt hat, wie Menschen sich fühlen, die lange Jahre unter Krieg und verschiedenen Regierunen gelitten haben und die Folgen davon immer noch spüren, für den ist dieses Buch genau das richtige. Sehr anschaulich gibt Astre Seierstad das Leben solcher Menschen wieder, sodass man die Armut und das Elend auf den Straßen vor Augen hat, die fröhlichen Feste mitfeiert und sich immer wieder wundert, wie diese Menschen es schaffen sich trotz allem ihren Stolz und ihre freundliche Höflichkeit zu erhalten.
Inzwischen ist eine gerichtliche Auseinandersetzung um das Buch entbrannt: Der Buchhändler verklagte den norwegischen Verlag, da ein Großteil der Darstellungen falsch seien und er sich daher in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt fühle. Seine Ehefrau sagte gegenüber den norwegischen Medien: "Ich fühle mich ausgeliefert und ausgenutzt". Seierstad äußerte sich zu den Vorwürfen nicht, doch der Verlag ließ das Umschlagsbild der US-Ausgabe ändern.
Leseprobe:Sie verliert sie die ganze Zeit aus dem Blick. Die bauschende Burkha sieht aus wie alle anderen bauschenden Burkhas. Himmelblau überall. Ihr blick fällt auf die Erde. Im Schmutz kann sie ihre dreckigen Schuhe von den anderen dreckigen Schuhen unterscheiden. Sie kann die Borten der weißen Hosen sehen und den Saum des purpurroten Kleid darüber ausmachen. Den Blick auf die Erde gerichtet, geht sie im Basar herum. Eine hochschwangere Burkha folgt ihr keuchend. Sie hat Mühe, mit dem energischen Tempo der zwei ersten Schritt zu halten.
Die "führende Burkha" ist bei den Lakenstoffen stehen geblieben. Sie befühlt sie und begutachtet die Farben durch das Fadengitter. Sie verhandelt mit nicht sichtbarem Mund. Ihre Augen sind gerade noch als Schatten durch das Geflecht zu erkennen. Die Burkha feilscht mit fuchtelnden Händen, ihre Nase wie ein Schnabel unter den Stoffalten vorgeschoben. Schließlich entscheidet sie sich, tastet nach ihrer Tasche und streckt eine Hand mit ein paar blauen Scheinen vor. Der Ladenverkäufer misst weißen Stoff mit hellblauen Blumen ab. Er verschwindet in der Tasche unter der Burkha.
Der Duft von Safran, Knoblauch, Pfeffer und frisch frittierter Pakora, in Kichererbsenteig ausgebackenes Gemüse, dringt durch den steifen Stoff und mischt sich mit Schweiß, Atemluft und starker Seife. Das Nylon über dem Mund ist so dicht, dann man seinen eigenen Atem riechen kann.
Sie flattern weiter auf eine Teekane aus Aluminium der billigsten russischen Machart zu. Befühlen, verhandeln, feilschen und sich erneut handelseinig werden. Die Kanne findet ebenfalls unter der Burkha Platz, die sich über Tassen und Gefäße, Matten und Bürsten breitet und dabei immer größer wird. Hinter der ersten Burkha kommen die beiden weniger zielstrebigen. Sie bleiben stehen und nehmen Plastikhaarspangen und goldfarbene Armreifen in die hand, ehe sie wieder nach der "führenden Burkha" Ausschau halten. Sie hat vor einer Karre angehalten, in der hunderte von BHs durcheinander liegen. Sie sind weiß, hellgelb oder rosa und haben einen eher fragwürdigen Schnitt. Einige hängen an einer Stange und flattern frech im Wind wie Flaggen. Die Burkha befühlt sie und misst sie mit der Hand ab. Sie nimmt beide Hände aus ihrem wallenden Gewand, überprüft das Gummi, zieht an den Körbchen und entscheidet sich nach Augenmaß für ein kräftiges, korsettähnliches Modell.
Sie gehen weiter und schwenken mit den Köpfen in alle Richtungen, um sich umzuschauen. Burkhafrauen ähneln Pferden mit Scheuklappen, sie können nur in eine Richtung schauen. Wo die Augen schmaler werden, geht das Fadengitter in den dicken Stoff über, der keine Blicke zur Seite gestattet. Der ganze Kopf muss umgedreht werden. Noch einer der kleinen Tricks der Burkhaerfinder: Ein Mann soll immer wissen, wen oder was seine Frau gerade mit den Augen verfolgt.
Rezension erstellt von Elayne