Eins
I
In der Höhle des Drachen
--- 16. Mai 1204, tief unter dem Wawel, Kakau, Königreich Polen ---"Igoooor! Bewege deinen nichtsnutzigen Körper hierher!" hallte es durch die Tropfsteinhöhle. Die klare kräftige Stimme ließ den Verkrüppelten zusammenzucken.
"Ich komme, Herr," beeilte er sich zu rufen. "Was er nun wieder will?" , fragte sich Igor halblaut während er sich mühsam aufrichtete, "hoffentlich soll ich nicht wieder ein Mädchen bringen... es ist so schwer, sie zu überzeugen, und ich breche ihnen ungern die Glieder..."
Beinahe hätte sein Klumpfuß ihm wieder einen Streich gespielt, doch er schaffte es, einigermaßen würdevoll aufzustehen.
"Durchhalten, Igor," murmelte er in sich hinnein, "eines Tages wird er mich heilen, oder besser er wird mich lehren, wie ich mich selbst heile von meiner Hässlichkeit, dann werden mir die Frauen zu Füßen liegen." Er lächelte sein schiefes Grinsen, und begab sich ein Bein nachziehend aus seiner Schlafecke in einer Nische in den größten Teil der Höhle, wo sein Herr und Meister residierte. Viel Luxus hatten sie nicht dort unten, obwohl er der Diener eines waschechten Ritters war. Gern würde er in der Burg Leben, oben bei all dem Gold und den schönen Menschen...
"Igooooor! Beweg dich! Ich habe etwas wichtiges für dich zu tun!" hallte es wider.
Er beeilte sich und stand schwitzend vor seinem Herrn, der wie immer mit der braunen Kutte eines Mönches bekleidet, zwischen den Stalagmiten und Stalagtiten thronte.
"Was kann ich für euch tun, Herr?" , fragte Igor demütig mit gesenkten Haupt.
"Ich spüre, mehrere Personen sind auf dem Weg zu uns. Eine wird in wenigen Munuten hier eintreffen. Geh nach draußen und sieh dich um. Außerdem wirst du wieder auf die Felder gehen und etwas Muttererde mitbringen."
Igor nickte. Immer das gleiche. Schliefe der Herr nicht damit umgeben, wäre er in der darauffolgenden Nacht sehr mißmutig und grausam zu ihm, also brachte er lieber etwas mehr mit, auch wenn es seinen Rücken unglaublich plagte, die Erde in dem Leinensack durch die Gegend zu schleppen, und vor allem sich damit durch die enge Nische zum Flußufer zu quetschen...
"Und," Igor zuckte zusammen, "bringe ein Mädchen. Ich wünsche keine ausgehungerten Gäste."
--- Kurz nach Mitternacht am Fuß des Kalksteinplateaus ---Die wenige Tage alte Tzimisce Nathalia Salem erhob sich aus dem Wasser der Weichsel.
Sie schritt einfach ans schlammige Ufer.
Ihr mit goldenen Blättern besticktes wallendes Festkleid war blutverschmiert, voller Erde und durchnässt.
Das verzerrte Gesicht löste sich und sie entglitt den Fängen des Tieres, das sie sicher durch die Wildnis hierher geführt hatte.
Eine dumpfe Leere machte sich in ihr breit. Die Erinnerungen der letzten Tage waren unwiederbringlich hinter einem roten Schleier verborgen.
Das Flüstern im Wind, daß sie seit Elaine, ihre Erzeugerin, von jenen Rittern in goldenen Rüstungen vernichtet worden war, zu ihr sprach, machte sie auf eine Felsspalte aufmerksam.
"Dort ist der Eingang zur Residenz des Fürsten," wisperte es zeitgleich in ihrem Ohr und in ihren Gedanken,
"...er führt zu jemandem der dir helfen wird... Elaine," der Schmerz der frischen Erinnerung traf sie hart,
"...sie vertraute ihm. Doch du solltest nicht den gleichen Fehler machen. Für eine Weile wirst du hier sicher sein....Jetzt geh, und sei wachsam."Die Stimme entfernte sich, wurde einfach davon getragen.
Nichteinmal drei Nächte hatte sie mit ihrer so zerbrechlich wirkenden Erzeugerin verbringen können, da war sie schon auf sich allein gestellt. Noch nie hatte sie einen weiteren Vertreter ihrer Art auch nur gesehen. Aber sie wußte, wie man auf einen Fürsten zuzugehen hatte, das waren die einzigen Regeln, an die sie sich halten konnte.
Sie raffte das schlammige Kleid zusammen und zog die Schultern ein, um sich durch den engen Durchgang zu schleichen. Kein Licht drang hinaus.
In der Finsternis tastete sich Nathalia voran, nicht wissend, was jenseits der Dunkelheit auf sie wartete.
Zum Glück sah sie nach einer Biegung dirket hinter dem Eingang bald ein Licht. Von Feuer. Der Gedanke, sich in eine Höhle mit schwierig passierbarem Ausgang zu einem Feuer zu begeben, bereitete ihr Unbehagen. Es roch nach Kalk und ein eisiger Luftzug strömte ihr entgegen, der den Geruch frischen Blutes mit sich trug. Kurz wallte das Tier in ihr auf. Sie mußte bald etwas...
jagen.
Nach ein paar Metern trat sie in die Tropfsteinhöhle. Sie war riesig. Armdicke Stalaktiten hingen Ellenlang von der Decke und ebenso starke Stalakmiten verliehen der Höhle ein Fremdartiges aussehen. Die Wassertopfen hallten vielfach wieder, ebenso wie das prasseln und Zischen der Pechfackeln.
In ihrem Schein erkannte Nathalia ein nahezu Kreisrundes Lager, mit Fellen ausgelegt.
An dem Punkt, der am weitesten von ihr entfernt lag, bildeten die Tropfsteine eine Art natürlichen Thron der mit einem Bärenfell ausgelegt war. Auf ihm saß herrisch eine Gestalt. Sie trug das Gewand eines einfachen Mönches. Der Schatten der Kapuze ließ das Gesicht, bis auf das aristokratisch zulaufende Kinn, nicht erkennen.
Als er Nathalia erblickte, nickte er.
"Ich bin Krak, für dich Fürst Krak. Nenne deinen Namen, Erzeuger, Clan und Generation. Dann setz dich und schweige, bis ich dich zum sprechen auffordere," er wies auf die Felle. Seine Hände waren feingliedrig und stark zugleich. "Ich erwarte noch Gäste und ich hasse es, mich zu wiederholen," fügte er etwas freundlicher hinzu.