Neuer Wind, hmm...
Naja, ich habe mich bislang zurückgehalten, weil ich nicht sicher bin, ob man auch im Rollenspiel wirklich alle Tabus brechen muss, nur weil es keine Tabus geben sollte...?
Ich persönlich finde es schon irgendwie bedenklich. Klar ist das Leben kein Ponyhof, weder das RL, noch das in der WoD, noch in irgendeinem Setting, das man als Rollenspiel betreiben kann, egal ob nun Science Mystery, SciFi, Endtime, Fantasy oder Cyberpunk. Und nicht umsonst haben alle Systeme Leitlinien zur Lösung vom Konflikten körperlicher Natur (kurz Kampfregeln).
Damit ist die Hemmschwelle zu gesellschaftlich sanktioiniertem Verhalten schonmal gesenkt, denn wenn man die Möglichkeit hat, ein Verbrechen bzw. eine Gewalttat zu begehen, ohne wirklich dafür belangt zu werden (höchstens stellvertretend der Char), dann macht man das schon mal, allein um zu erleben, wie es wäre.
Aber müssen deshalb zwangsläufig in einem Rollenspiel
alle Tabus fallen?
Es ist eine interessante Beobachtung, dass gerade Tabuthemen doch in der Gesellschaft die meiste mediale Aufmerksamkeit genießen. Wenn Leute unter Brücken erfrieren oder sich mit einer simplen Lungenentzündung zu Tode husten, dann interesiert das kaum noch irgendwen. Aber sobald es um heikle Themen geht, die einen Tabubruch nahelegen, berichten die Medien darüber, als gäbe es kein Morgen mehr.
Die drei größten Tabus in der menschlichen Gesellschaft sind
Inzest,
Kannibalismus und
Massenmord, ganz dicht gefolgt von
religiös,
rassistisch oder
sexuell motivierten Gewalttaten, die je nach
Ausprägung (besonders blutig/grausam/sadistisch),
Anzahl (einer oder mehrere Opfer) oder
Opfertypus (Leichen, Minderjährige oder gar Kleinkinder) mehr oder weniger mediales Aufsehen erregen (theoretisch gesehen müsste eine Konvergenz aller Faktoren einer medialen Atombombe gleichkommen, aber das kann man ja anderweitig diskutieren).
Worauf ich hinaus will: nur weil Tabus existieren, muss man sie nicht unbedingt brechen. Muss der nächste Informant für die Queste unbedingt ein bekennender Kinderschänder sein, der als Gegenleistung für die benötigten Informationen ein neues Opfer von den SC verlangt? Oder ein durchgeknallter religiöser Fanatiker, der sich selbst für einen Satanisten hält und darum wahllos Menschen opfert? Und sie dann verspeist? Nachdem er auf ihren Überresten mit seiner Schwester Sex hatte? Und danach mit der eigenen Tochter? Die übrigens ein Kind aus der Verbindung mit seiner Schwester ist? Weil seine Eltern es ihm schon vor Jahren so beigebracht haben?
Wie würdet ihr einem solchen Menschen begegnen, wenn er als NSC auftaucht? Oder als SC?
Ja, ich werde abstrakt und ich übertreibe. Aber nur um einen Punkt zu verdeutlichen: Tabus existieren aus gutem Grund! Und nur weil man sie brechen KÖNNTE, bin ich nicht der Ansicht, dass man es auch tun MUSS! Es reicht doch schon, dass manche Leute sich (ungestraft) an ihrem individuellen Mordrausch/Sadismus begeistern können, den sie innerhalb einer Spielwelt anrichten können. Einige Grenzen MUSS man nicht brechen, finde ich.
(Eher breche ich
)
Nein, das Leben ist kein Ponyhof, weder das virtuelle Leben eines Chars in einer fiktionalen Umgebung, noch das echte Leben da draussen. Aber selbst mit gesenkten Hemmschwellen für viele Verbrechen und Vergehen, schaffe ich es immer noch, eine Spielwelt düster, grausam und schrecklich erscheinen zu lassen, auch ohne Tabus zu brechen.
my 2 ct.