Der Bug der
Gladius Dei pflügte durch die Wellen der Baltischen See. Der Takt, mit welchem die Ruder der gabrielitischen Templergaleere in die dunklen Fluten tauchten, war so gleichmäßig, dass es einem Sarieliten das Herz hätte höher schlagen lassen. Der allgegenwärtige Regen war zur Abenddämmerung hin zu einem feinen Nieseln geworden, was die erste nennenswerte Abwechslung auf der Fahrt war, seitdem die Galeere vor drei Tagen in Urbs Lipsia in See gestochen war. Der Beginn der Reise lag jedoch schon zehn Tage zurück.
Nürnberg. Dort, im Himmel der Gabrieliten, sollte sich die Schar, welche sich gerade erst zusammengefunden hatte, mit dem Inquisitor Paragon treffen. Der Auftrag war ein einfacher: "Eskortiert Inqusitor Paragon nach Trondheim." Als Unterstützung wurden auch zwei Dutzend Templer für diese Aufgabe abkommandiert. Der Weg durch Gabrielsland verlief ereignislos und Urbs Lipsia war bald erreicht. Der Aufenthalt in der Hafenstadt beschränkte sich für die Engel nur auf das Gelände des Klosters der Gabrieliten, welches der Inquisitor nach dem Erreichen der Stadt erst wieder verließ, als die
Gladius Dei zum Ablegen bereit war.
Auch während der Überfahrt nach Skandinavien verließ Paragon seine Kabine nur äußerst selten, und dann auch nur, um mit dem Kapitän zu sprechen. Seinem Wunsch, nicht gestört werden zu wollen, hatte er sowohl den Templern als auch den Engeln gegenüber deutlichem Ausdruck verliehen, was auch alle respektierten.
Die zwei Dutzend Templer blieben unter sich und gaben sich weder mit der Mannschaft noch mit den Engeln ab, wenn es nicht unbedingt notwendig war. Somit blieb auch die Schar weitestgehend unter sich.
Es war ein Auftrag, der sich bislang als unspektakulärer herausstellte, als er ursprünglich geklungen hatte. Trondheim – der Ort an dem einst der Himmel der Ragueliten stand, bis er am 1. Februarii 2642 von der Traumsaat überrannt wurde und im Fegefeuer verging.
Was hoffte der Inquisitor Paragon nach 12 Jahren noch dort vorzufinden? Diesem und auch anderen Gedanken hingen die Engel der Schar nach.
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Noch jung sind die Erinnerungen an die Nacht im Weihesaal des Petrusdoms. Mit ausgebreiteten Flügeln knieten die fünf Engel – neben vielen anderen Engelsscharen – betend im Kreis auf dem kalten und harten Marmorboden, ohne sich auch nur das kleinste bisschen zu regen und nicht einmal die sich dabei gegenseitig berührenden Flügelspitzen verursachten ein Geräusch.
Mit dem Sonnenaufgang am Tag des Frühjahrs-Äquinoktiums 2654 wurden die Tore des Saales geöffnet und die Scharen auf den Petersplatz geführt, wo sie durch das Oberhaupt der Angelitischen Kirche, den Pontifex Maximus Petrus Secundus persönlich, zu einer neuen Schar geweiht wurden.
Nacheinander rief der Pontifex ihre Namen auf: Tamiel – Farimiel – Aleriel – Basebael – Llobel. Einzeln trat ein jeder der Engel vor, um von ihm sein erstes Votivband in Empfang zu nehmen und mit einer jahrhundertealten Segensformel gesegnet zu werden.
Kurz darauf stieg, unter dem Jubel der Menge, die gesegnete Schar in geschlossener Formation mit den anderen Scharen in den Himmel über der Ewigen Stadt auf …
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Das war vor drei Wochen, und schon am darauffolgenden Tag verließ die gerade geweihte Schar Roma Æterna gen Nürnberg, um nun in der Kabine einer Templergaleere sitzend einen Inquisitor der Gabrieliten zu beschützen.
Der Anführer der Schar hieß
Tamiel. Der Michaelit war hochgewachsen und schlank. Seine muskulöse Gestalt verriet dem Kenner, dass er durchaus im Stande war, mit der Hasta umzugehen, die er, neben einem Kurzschwert, mit sich führte. Obwohl die zweischneidige Schwertlanze eher nur von Templern geführt wurde, schienen sich die Soldaten des Eskort-Auftrages sogar geehrt zu fühlen, als sie diese Waffe in den Händen des Miachaeliten entdeckten. Das reine Weiß seiner Schwingen kam durch das goldfarbene Ordensgewand noch mehr zur Geltung. Sein dunkelblondes Haar war in der Art der Michaeliten geschnitten – vom Wirbel nach allen Seiten glatt herunterfallend und rund um den Kopf gerade in Höhe der Ohren abgeschnitten, die Haare im Nacken ausrasiert. Seine ozeanblauen Augen im schmalwangigen und sommersprossigen Gesicht unterstrichen sein sicheres und festes Auftreten als Anführer der Schar. Seine Schulterplatte war mit dem stilisierten Bild eines brennenden Dornenbuschs verziert.
Gleichgroß war der Gabrielit
Farimiel, womit dann aber auch schon die Ähnlichkeiten mit Tamiel endeten. Der breitschultrige und muskulöse Streiter des Herrn hatte dunkelbraune Flügel, vor denen das Haar in der Art seines Ordens von einem breiten schwarzen Stirnband nach oben gebunden wurde. Im Unterschied zu den meisten seiner Ordensgeschwister hatte Farimiel jedoch darauf verzichtet, sich seine weißen Haare mit Henna rot zu färben. Sein Gesicht machte einen ausgemergelten Eindruck und die blaugrauen Augen verliehen seinen Zügen etwas Boshaftes, was von Farimiel jedoch keineswegs beabsichtigt war. In der Schar trat er stets sehr diszipliniert auf und befolgte die Anweisungen seines Befehlshabers genau. Er trug das charakteristische schwarze Gewand und die wuchtige Schulterplatte der Gabrieliten, wobei letztere mit einem schwarz-rot gestreiften Rand verziert war. Seine Bewaffnung bestand aus dem typischen Flammenschwert der Todesengel und einer zweiten Klinge, die ein langes Messer – wenn auch mit einer etwas merkwürdigen Form – sein könnte.
Aleriel, die Bewahrerin des Wissens der Schar, war von eher hagerer Gestalt. Ihre Haut war eine Spur dunkler als die anderer Mitteleuropäer und ihr herzförmiges Gesicht wurde von den dunkelbraunen, langen Haaren umrahmt, dass sie - wie es bei den Ramieliten üblich war - offen trug. Die längeren Strähnen wellten sich leicht, die kürzeren neigten schon zur Lockenbildung, was ihr ein liebreizendes Aussehen verlieh. Dieses wurde noch durch die vollen Lippen unterstrichen. Ihre lebhaften graugrünen Augen, deren grün deutlicher zu Tage trat als das grau, spiegelten ihr Naturell wider. Ihre Schargeschwister hatten sie in den letzten Wochen als aufgeschlossen und gesellig kennengelernt. In regelmässigen Abständen zog sie sich jedoch auch zurück, um zu meditieren oder auf ihrer Flöte wundervolle Melodien erklingen zu lassen. Die blaugewandete Ramielitin führte das Schartagebuch mit sich, in welches sie immer wieder Einträge machte und war mit einer Schulterplatte und einem Dolch ausgerüstet.
Als Vertreterin der Heilenden Hände Gottes gehörte
Basebael der Schar an. Die Raphaelitin war in nahezu jeder Hinsicht das, was man als als Paradebeispiel eines Engels bezeichnen würde. Ihre klaren und fein geschnittenen Gesichtszüge ließen sie androgyn erscheinen. Auch der schlanke und hohe Wuchs dieses Engel ließ eine Schätzung bezüglich Ihres Alters nicht zu, obwohl sie ihren Ordenshimmel zur gleichen Zeit wie ihre Schargeschwister betreten hatte. Die hellgrauen Schwingen ergänzten sich farblich mit dem ordenstypisch zu einem Knoten gebundenen silbrigblonden Haar. Der Blickfang in diesem überirdisch schönen Gesicht waren jedoch ihre Augen von einem sehr hellen klaren Grün. Obwohl ihr Blick Wissbegier und Empathie ausstrahlte war da noch etwas anderes, was jedoch nicht wirklich zu benennen war. Als Waffe trug die weißgewandete Gestalt lediglich einen Dolch an ihrer Seite.
Der fünfte Engel der Schar war
Llobel. Die Hautfarbe des Urieliten war etwas dunkler als die seiner Schargeschwister; sie hatte einen olivfarbenen Farbton. Die Federn seiner Schwingen waren grau mit bräunlicher Zeichnung. Seine dunkelgrünen Augen schauten immer ernst und noch keiner seiner Schargeschwister hatte ihn in der gemeinsamen Zeit auch nur lächeln sehen. Das schwarze Haupthaar war in der Art seines Ordens mit einem grünen Band streng nach hinten zu einem langen Zopf zusammengebunden, welcher ihm bis auf den Rücken reichte. Sein schmales Gesicht wirkte nicht zuletzt auf Grund des Signums äußerst martialisch. Wie es für seinen Orden markant war, trug Llobel einen Kompositlangbogen und einen Köcher der hauptsächlich mit Jagdpfeilen bestückt war. Aber auch der Umgang mit Nahkampfwaffen schien dem Bewahrer der Wege nicht fremd zu sein, wie man an dem langen Messer an seiner Seite sehen konnte.
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Da saßen nun die fünf Boten des Herrn, wartend in ihrer Kabine der Templergaleere, und ersehnten die Ankunft an den Ufern Skandinaviens…