William Gibson - Neuromancer Trilogie
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Autor: William Gibson
Seiten: 1004
ISBN: 3453164105
Verlag: Heyne
Erstveröffentlichung: März 2000
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Dies ist der Auftakt zur Neuromancer Trilogie von William Gibson. Bestehend
aus den Bänden ‚Neuromancer' (1984), 'Count Zero' (1986) und 'Mona
Lisa Overdrive' (1988).
Neuromancer
Der erste Teil erzählt die Geschichte von Case, einem äußerst
talentierten Konsolen-Cowboy, der seinen früheren Auftraggeber betrogen
hat. Von diesem, durch die Zufügung eines Nervenschadens bestraft, ist
er nicht mehr in der Lage sein Deck zu benutzen und in die Welt der Matrix abzutauchen,
was sein bisheriger Daseinzweck war. Ausgebrannt und nervlich am Ende hält
sich der drogen- und alkoholabhängige Case mit kleineren Deals über
Wasser.
Bis ihm eines Tages ein verlockende Angebot unterbreitet wird. Für die
Erledigung eines Jobs wird ihm in Aussicht gestellt, dass sein Nervenschaden
geheilt und er die wunderbare Welt des Cyberspace wieder in vollen Zügen
genießen kann. Ihm zur Seite steht Molly, eine durch Implantate und verbesserte
Kämpferin ala ‚Straßensamurai'.
Für seinen Auftraggeber, Armitage, soll er mehrere kleine Jobs erledigen,
die zunächst immer wieder in Sackgassen führen. Als kleinen Ansporn
für seinen Ergeiz eröffnet ihm Armitage, dass ihm im Laufe einer Operation
zur Widerherstellung seines Nervensystems, kleine Kapseln mit einer toxischen
Substanz implantiert wurden. Mit der Zeit finden sie heraus, dass im Cyberspace
ein Angriff auf die Künstliche Intelligenz eines Großkonzerns stattfinden
soll, den zu vereiteln wohl die Aufgabe von Case und seinem Team ist.
Jeder der den Roman einfach nur so liest, wird sich die Frage stellen ‚Was
zur Hölle ist daran so besonderes. Es ist nur einer weiterer Roman, der
ohne weiteres einen Platz in der ‚Shadowrun'-Reihe einnehmen könnte.'.
Stimmt. Wenn man diesen Roman jedoch unter dem Gesichtspunkt betrachtet, das
er geschrieben wurde bevor die meisten Leute wussten was ein PC ist oder das
das Internet existieren, dann wird alles schon wieder in ein neues Licht gerückt.
Gerade, wenn man die von Gibson beschriebenen Geschehnisse und Technologien
mit den Errungenschaften der heutigen Zeit vergleicht, wird der Roman um einiges
interessanter. Die Protagonisten, ebenso wie alle anderen Menschen, sind nur
Marionetten in einer Welt, deren Strukturen und Denkweisen von denen einiger
mächtiger Konzerne beeinflusst wird.
Biochips
In den Konzernen der Welt ist es Gang und Gebe, dass Wissenschaftler Verträge
auf Lebenszeit erhalten und dies bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes auch
auf Lebenszeit. Man kann nur durch Tod aus der Firma ausscheiden. Für Leute
die dennoch wechseln wollen, gibt es Turner und er soll einem führenden
Angestellten diesen Wechsel ermöglichen.
Der zweite Handlungsstrang dreht sich um eine Künstlerin namens Marly,
sie soll für einen der reichsten Männer der Welt, einige Kunststücke
ausfindig machen. Während der Suche nach den Kunststücken breiten
sich mit der Zeit nagende Zweifel in ihr aus für wen sie eigentlich arbeitet.
Virek ist Gerüchten zufolge "todkrank" und Begegnungen mit ihm
finden nur in der virtuellen Realität statt.
Die Hauptperson, um die sich der dritte Handlungsstrang dieses Buches dreht
ist Bobby Newmark. Bobby ist ein kleiner Fisch im Geschäft der "Konsolen-Cowboy"
und will eines Tages mal ein "Großer " sein. In dem Auftrag
eines Bekannten Pornos aus einem System zu stehlen, sieht er eine gute Möglichkeit
für einen Einstieg, zumal er das passende Werkzeug dafür gleich mitgeliefert
bekommt. Irgendetwas jedoch läuft schief und ehe es für Bobby zu spät
ist, wird er von etwas Unbekanntem aus der Matrix befreit. Dies ist jedoch erst
der Anfang, denn die Schwierigkeiten nehmen seinen Lauf, als seine Wohnung explodiert
und er auf der Strasse zusammengeschlagen wird.
Zeitlich ist dieses Werk einige Jahre nach den Ereignissen von Neuromancer
anzusiedeln. Der wohl gravierenste Unterschied ist, die Aufspaltung der Geschichte
in drei scheinbar unabhängige Stränge, die erst nach und nach von
Gibson zu einem zusammengeführt werden. Dies war das erste Buch, welches
ich aus der Trilogie gelesen habe und von der Handlung her hat es mir am Besten
gefallen. Gerade wegen der drei Handlungsstränge und der damit verbunden
Undurchsichtigkeit, von der noch bis zum Schluss etwas überbleibt, dass
zum Nachdenken anregt.
Mona Lisa Overdrive
Die Story von diesem Teil ist reichlich komplex und um nicht zuviel zu verraten,
will ich es beim Klappentext belassen. Nur soviel noch dazu, hier werden einzelne
lose Ende aus den beiden vorherigen Romanen zusammengeführt und einige
schon bekannte Charaktere tauchen wieder auf. Während man die beiden anderen
Bücher doch unabhängig von einander lesen konnte, so ist man hier
im klaren Nachteil, wenn man die anderen Bücher nicht kennt.
Leseprobe
Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen
toten Kanal geschaltet war.
"Ich bin ja kein User", hörte Case jemanden sagen, als er sich
durch die Menge an der Tür des Chat drängte. "Mein Körper
leidet neuerdings einfach unter Drogenmangel." Es war eine Sprawlstimme
und ein Sprawlspruch. Das Chatsubo war eine Bar für Berufsexilanten; man
konnte dort eine Woche bechern, ohne ein Wort japanisch zu hören.
Ratz machte die Bar. Seine Armprothese zuckte monoton, als er einen Schwung
Gläser mit Kirin vom Faß füllte. Er sah Case und lächelte.
Sein Gebiß war ein Flickwerk aus osteuropäischem Stahl und brauner
Fäulnis. Case fand einen Platz an der Theke zwischen der unnatürlichen
Bräune einer Hure von Lonny Zone und der steifen Marineuniform eines großen
Afrikaners, dessen Wangen von präzisen Reihen wulstiger Stammesnarben gezeichnet
waren. "Wage war schon da, mit zwei Mackern", sagte Ratz und schob
Case mit seiner unversehrten Hand ein Bierglas über den Tresen. "Geschäfte,
ihr beide, Case?"
Case zuckte die Achseln. Das Mädchen zu seiner Rechten stupste ihn kichernd
an. Das Lächeln des Barmanns wurde breiter. Seine Häßlichkeit
war legendär. Im Zeitalter der käuflichen Schönheit hatte sein
Mangel daran Signalwirkung. Der altertümliche Arm surrte, als er nach einem
Glas griff. Es war eine russische Militärprothese, ein Greifer mit sieben
Funktionen, rückkopplunggesteuert und eingegossen in schmuddeliges, pinkfarbenes
Plastik. "Spielst den Artisten, Monsieur Case." Ratz grunzte, ein
Geräusch, das bei ihm als Lachen fungierte. Er kratzte sich mit der pinkfarbenen
Klaue den in ein weißes Hemd gezwängten, überhängenden
Bauch. "Jonglierst mit irgendwelchen komischen Deals."
"Klar", sagte Case und trank einen Schluck Bier. "Einer hier
muss ja komisch sein. Du bist's jedenfalls nicht, verdammte Scheiße."
Das Kichern der Hure stieg um eine Oktave.
"Und du auch nicht, Schwester. Also zieh Leine, okay? Zone ist 'n persönlicher
Freund von mir."
Sie sah Case in die Augen und gab den allerleisesten Schlucklaut von sich, ohne
die Lippen groß zu bewegen. Aber sie ging.
"Man was ist das denn für'n mieses Loch?" sagte Case. "Hier
kann man ja nicht mal in Ruhe einen trinken."
"Ha", sagte Ratz und fuhr mit einem Lappen über das abgescheuerte
Holz. "Zone kommt wenigstens mit Prozenten rüber. Der einzige Grund,
warum du hier arbeiten darfst, ist dein Unterhaltungswert."
Als Case nach seinem Bierglas griff, senkte sich einer jener Momente der Stille
über den Laden, als wären hundert eigenständige Gespräche
gleichzeitig bei einer Pause angelangt. Dann ertönte das schrille Kichern
der Hure, durchsetzt von einer gewissen Hysterie. "Da ist gerade wieder
ein Engel durch", brummte Ratz.
"Die Chinesen", grölte ein betrunkener Australier, "die
Chinesen haben das verdammte Nervenspleißen erfunden. Wenn's die Nerven
sind, würd ich aufs Festland gehen. Die kriegen dich wieder hin, Kamerad..."
"Ach was", sagte Case zu seinem Glas, und seine ganze Verbitterung
stieg wie Galle in ihm auf, "das ist doch totaler Schwachsinn."
Die Japaner hatten schon mehr Neurochirurgie vergessen, als die Chinesen je
beherrscht hatten. Die schwarzen Kliniken von Chiba waren führend auf dem
Gebiet; dort wurden ganze Operationstechniken von einem Monat auf den anderen
durch neue ersetzt. Trotzdem schafften sie es nicht, den Schaden zu beheben,
den Case in einem Hotel in Memphis abbekommen hatte.
Nach einem Jahr träumte er immer noch vom Cyberspace, doch seine Hoffnung
schwand mit jeder Nacht. Alles Speed, das er nahm, alle Steifzüge durch
die Gassen und Winkel von Night City halfen nichts; immer noch sah er im Schlaf
die Matrix, helle Gitter der Logik, die sich vor der farblosen Leere entfalteten...
Das Sprawl lag jetzt in seltsam weiter Ferne jenseits des Pazifik, und er war
kein Konsolenfreak, kein Cyberspace-Cowboy mehr. Nur ein kleiner Gauner unter
vielen, der sich durchzuschlagen versuchte. Doch in der japanischen Nacht brachen
die träume über ihn herein wie Hochspannungsvoodoo, und dann weinte
er, er weinte im Schlaf und wachte allein im Dunkel seiner Kapsel in irgendeinem
Sarghotel auf, die Hände in die Matratze gekrallt, Temperschaum zwischen
den Fingern, die nach der Konsole zu greifen versuchten, die nicht da war.
Rezension erstellt von Cherlindrea